Ökonomische Aspekte
Rinder und die Erzeugung von Rindfleisch sind ein bedeutender Faktor für die globale Landwirtschaft. Dies gilt besonders auch für die Landwirtschaft Österreichs. Innerhalb der Landwirtschaft zeigt sich Rindfleischproduktion beim Blick auf die Statistik als eines der wichtigsten Standbeine. Laut Landwirtschaftlicher Gesamtrechnung der Statistik Austria stellten die Betriebe im Jahr 2022 pflanzliche und tierische Erzeugnisse von zusammen rund 9,5 Milliarden Euro her. Darunter fällt der größte Einzelposten auf den Wert der Milchproduktion, die 1,9 Milliarden Euro ausmacht. An zweiter Stelle liegt mit 1,6 Milliarden die Getreideproduktion, gefolgt von der Rinderproduktion mit 916 Millionen Euro. Der Wert der Schweineproduktion liegt mit 891 Millionen Euro an vierter Stelle.
Nimmt man die Milch- und Rindfleischproduktion zusammen, dann zeigt sich die Rinderwirtschaft insgesamt als der mit Abstand wichtigste ökonomische Einzelbereich der österreichischen Landwirtschaft.
Die heimische Rindfleisch-Produktion sowie Im- und Export in Zahlen
Rund 1,8 Millionen Rinder werden derzeit in Österreich gehalten (Stand 2023). Zu beachten ist der Anteil an Milch- bzw. Mutterkühen am Gesamtbestand. Diese liefern selbst zunächst kein Fleisch und machten 546.000 bzw. 158.000 Tiere und damit insgesamt 38 Prozent des Rinderbestands aus. Erst am Ende ihres Lebens fließen diese Tiere als „Altkuh“ in die Statistik der Rindfleischproduktion ein.
201.000 Tonnen verzehrsfähiges Rindfleisch sind im Jahr 2022 laut amtlicher Statistik hierzulande produziert worden (brutto). Nahezu die gesamte Produktionsmenge stammt von den in Österreich geborenen und aufgezogenen Tieren. Lediglich 21.000 Tonnen wurden von lebend eingeführten Rindern erzeugt, während 11.000 Tonnen Rindfleisch nach der Ausfuhr lebender Tiere im Ausland erzeugt wurden. Der Selbstversorgungsgrad mit Rind- und Kalbfleisch lag 2022 bei 144 Prozent.
Laut Statistik Austria halten derzeit (2023) rund 52.000 landwirtschaftliche Betriebe in Österreich Rinder. Im Jahr 1995 galt dies noch für mehr rund 117.000 Betriebe. Auch die Zahl der gehaltenen Rinder ist in diesem Zeitraum deutlich, wenngleich weniger stark, geschrumpft. Während 1995 noch rund 2,3 Millionen Rinder gehalten wurden, waren es im Jahr 2010 rund 2 Millionen. Die Anzahl der Rinder in Österreich ist weiter rückläufig.
Die Bedeutung der Almwirtschaft für Österreich
Eine Alm könnte man auch als „Bergweide“ bezeichnen und meint per Definition Grünlandflächen, die aufgrund ihrer Höhenlage und Entfernung zum landwirtschaftlichen Betrieb nur über eine begrenzte Zeit im Sommer bewirtschaftet werden. Wobei zu einer Alm (oder „Alp/Alpe“) auch eine Infrastruktur aus Gebäuden, Dunglagerstätten oder Zäunen gehört. Laut der Fachinformation „Almwirtschaftliches Basiswissen“ des Ländlichen Fortbildungsinstituts kann ein viehhaltender Betrieb durch die Nutzung von Almflächen die Zahl seiner Tiere um bis zu einem Drittel vergrößern. Gleichzeitig führen Erschwernisse wie die Entfernung zum Hof, die kurze Vegetationsperiode oder der für Betrieb und Erhalt einer Alm entstehende Arbeitsaufwand dazu, dass die Erträge aus der Tierhaltung (in der Regel geht es um Rinder) weit geringer sind als in Tallagen. Der ursprüngliche Gedanke hinter der Almwirtschaft war es, die Tiere über den Sommer von der Alm zu ernähren, sodass das Gras im Tal in Form von Heu für den Winter eingelagert werden konnte.
Für die Gesellschaft erfüllen Almen weit über den Wert der tierischen Erzeugung hinausgehende Funktionen. So ist durch die Bewirtschaftung von Almflächen über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg eine Kulturlandschaft mit einer großen Vielfalt an Arten entstanden, deren Lebensraum ohne diese Art der Nutzung verloren ginge. Almen machen einen großen Teil des extensiven Grünlands in Österreich aus. Mehr zum ökologischen Nutzen solcher Extensiv-Grünlandflächen findest du im Abschnitt „Zielkonflikt: artenreiches Grünland vs. Klimaschutz“.
Almen erfüllen Schutzfunktionen für den Siedlungsraum tieferer Lagen. So mindern Sie zum Beispiel das Lawinenrisiko dadurch, dass regelmäßig beweidete oder gemähte Flächen mit kürzerem Bewuchs in den Winter gehen und dadurch eine rauere Oberfläche aufweisen als außer Nutzung gestellte Grünlandflächen. Auf letzteren sorgen längere, sich umlegende Grashalme oder biegsame Zwergsträucher dafür, dass eine Schneedecke unter bestimmten Voraussetzungen leichter Richtung Tal gleiten und sich zu einer Lawine entwickeln kann.
Hinzu kommen zahlreiche noch viel weiterreichende Funktionen der Almen, etwa als Erholungsraum für Einheimische und Gäste der Tourismusbetriebe und nicht zuletzt als identitätsstiftendes kulturelles Erbe für den ländlichen Raum wie für Österreich als Ganzes.
Die Anzahl der Almen ist rückläufig
In Österreich sind sowohl die Zahlen der gehaltenen Rinder, der rinderhaltenden Betriebe als auch der bewirtschafteten Grünlandflächen seit Jahrzehnten rückläufig. Da Almflächen aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive weniger ertragsreich und damit auch weniger attraktiv zu bewirtschaften sind, ist bei ihnen eine überproportional rückläufige Tendenz zu beobachten. Laut Grünem Bericht 2023 gab es im Jahr 2000 in Österreich noch rund 32.000 landwirtschaftliche Betriebe, die Tiere gealpt (auf eine Alm gebracht) haben. Bis zum Jahr 2022 verkleinerte sich deren Anzahl auf rund 24.000 Betriebe. Im selben Zeitraum schrumpfte die Zahl der Almen von 9.160 auf 8.000 und die Zahl der gealpten Rinder von 321.000 auf 300.000.
Aufgrund einer Änderung bei der Erfassung der Almfutterflächen lässt sich deren Entwicklung erst ab dem Jahr 2015 mit aktuellen Werten in Relation setzen (seither werden unproduktivere Heidekraut, Stein- oder Felsflächen herausgerechnet). Zwischen 2015 und 2022 hat sich die Almfutterfläche von rund 332.000 auf 306.000 Hektar verkleinert, was einem Rückgang um 8 Prozent entspricht. Der Rückgang der Almfutterflächen ist damit deutlich größer als die Minderung der Dauergrünlandfläche insgesamt, die sich innerhalb dieser 8 Jahre um 1 Prozent verkleinerte.
Der generell zu beobachtende Rückgang von Österreichs Grünlandflächen zeigt sich umgekehrt auch in der Ausbreitung von Waldflächen. Sie ist in Österreich, wie in ganz Europa seit Jahrzehnten zu beobachten. Werden Almflächen innerhalb der natürlichen Baumgrenzen nicht mehr beweidet oder gemäht, dann breiten sich dort allmählich Sträucher und Bäume aus und nach wenigen Jahrzehnten ist aus der ehemaligen Weide ein Wald geworden. Mit den Rindern verschwinden auch zahlreiche andere Tier- und Pflanzenarten, die auf den Lebensraum Grünland beziehungsweise Alm spezialisiert und angewiesen sind. Sie finden im Lebensraum Wald – wo andere Arten beheimatet sind – weder Nahrung noch Unterschlupf. Auch die Attraktivität der Landschaft im Hinblick auf Tourismus und Erholungsfunktion schrumpft, da die Funktion „Aussicht genießen“ eher in einer abwechslungsreichen Landschaft und weniger gut in einem geschlossenen Wald gegeben ist.
Mögliche Auswirkungen des Handelsabkommens mit dem MERCOSUR
Rindfleisch gehört zu jenen Produkten, die bei Diskussionen rund um das mögliche MERCOSUR-Handelsabkommen, häufig genannt werden. Konkret geht es meist um die Annahme, der EU-Markt, inklusive Österreich, könne in Folge des Abkommens mit billigem und nicht nachhaltig produziertem Rindfleisch aus Brasilien oder Argentinien „überschwemmt“ werden. Die heimischen Betriebe könnten demnach in dem anstehenden Preiskampf nicht mithalten, wodurch letztlich noch mehr Betriebe zur Aufgabe gezwungen würden als ohnehin schon. Aber um was geht es bei dem Abkommen eigentlich genau? Lässt sich vorhersagen, ob die Sorgen berechtigt sind?
Der gemeinsame Markt des Südens
Der MERCOSUR ist eine wirtschaftliche und politische Handelsunion in Südamerika. Das Akronym MERCOSUR steht für den spanischen Ausdruck „Mercado Común del Sur" (bzw. für die portugiesischen Worte „Mercado Comum do Sul“), was auf Deutsch „Gemeinsamer Markt des Südens" bedeutet. Die Gründungsmitglieder der 1991 ins Leben gerufenen Handelsunion waren Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Später trat Venezuela dem MERCOSUR bei, wurde jedoch später aufgrund politischer Kontroversen wieder ausgeschlossen.
Ziel des MERCOSUR ist es, den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedsländern zu fördern. Dies wird durch die Beseitigung von Zöllen und Handelshemmnissen sowie die Förderung der wirtschaftlichen Integration in der Region erreicht. Das bedeutet so viel wie gemeinsame Regeln und Normen, die den Handel für alle Seiten erleichtern. Darüber hinaus haben sich die MERCOSUR-Mitglieder auch gemeinsame politische Ziele verordnet, darunter die Stärkung der Demokratie, die Förderung der Menschenrechte sowie die Lösung regionaler Konflikte. Franz Sinabell, Agrarökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sagt über den grundsätzlichen Charakter des MERCOSUR:
„Im Grunde haben wir in Europa mit dem Maastricht-Abkommen genau das gleiche gemacht: einen gemeinsamen Markt geschaffen, innerhalb dessen Grenzen alle Handelsbarrieren zwischen EU-Mitgliedsländern beseitigt sind.”
Allerdings reicht die Tiefe der gegenseitigen Verflechtung zwischen den EU-Staaten weiter als innerhalb des MERCOSUR.
Handel zwischen Staaten – Vorteile für die Allgemeinheit ?
Ganz grundsätzlich betrachtet ist Handel und speziell der internationale Handel mit Waren und Dienstleistungen, neben einer freien Marktwirtschaft, die Voraussetzung für den relativen Wohlstand weiter Teile der Bevölkerung. David Ricardo, ein berühmter britischer Ökonom des 19. Jahrhunderts, begründete dies mit den sogenannten komparativen Kostenvorteilen. Salopp formuliert: Jedes Land kann bestimmte Waren besonders gut und zu günstigen Preisen produzieren. Wenn sich nun ein Land auf die Produktion genau dieser Waren konzentriert und dafür andere Waren in einem anderen Land einkauft, wo sie günstiger als im eigenen produziert werden, dann erreichen beide Seiten mehr Wohlstand – vorausgesetzt natürlich das andere Land verfährt ebenso.
Wohlgemerkt: Ob dieser Zugewinn an Wohlstand im jeweiligen Land gerecht verteilt wird oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Hinzu kommt, dass etwa vermehrte Importe von bestimmten Gütern zwar für mehr allgemeinen Wohlstand aber gleichzeitig auch zu wirtschaftlichen Einbußen bei einzelnen Branchen führen kann. So hat in der Vergangenheit zum Beispiel der vermehrte Import von grundsätzlich viel billigerer Baumwolle bzw. fertig genähten Textilien zu einem weitgehenden Zusammenbruch der europäischen Textilindustrie geführt und die Haltung von Schafen nahezu unrentabel gemacht. Auf der anderen Seite können wir alle uns nun mehr Kleidungsstücke leisten und „Mode“ konnte zum Ausdrucks- und Stilmittel individueller Lebensweisen werden. Zugleich bleiben in dieser Betrachtung mögliche soziale und ökologische Nachteile zunächst unberücksichtigt.
Geplante Vereinbarungen: Was steht im MERCOSUR-Abkommen?
Bereits im Jahr 2000 nahmen die EU und der MERCOSUR gemeinsame Verhandlungen über ein Handelsabkommen auf. Im Juni 2019 kam es schließlich zu einer politischen Einigung über ein als Assoziierungsabkommen bezeichnetes Vertragswerk zwischen den beiden Handelsräumen. Dem noch nicht in Kraft getretenen Vertragstext zufolge, soll das EU-MERCOSUR-Abkommen für den Abbau von unterschiedlichen Handelsbarrieren und somit die Voraussetzungen für Wohlstandsgewinne auf beiden Seiten sorgen.
Die angestrebten Vereinbarungen umfassen viele Bereiche, wie etwa die öffentliche Beschaffung, Bestimmungen zu Arbeitsbedingungen oder zum Naturschutz. Beispiele für vereinbarte Maßnahmen zum Waren- und Dienstleistungsverkehr sind:
- gegenseitige Öffnung von Dienstleistungsmärkten wie für Post- und Kurierdienste, Telekommunikation oder Finanzdienstleistungen
- schrittweise Abschaffung von Zöllen bei über 90 Prozent der gegenseitig gehandelten Waren
- Zollkontingente erlauben den zollfreien Import genau definierter Mengen von Gütern; für jede zusätzliche Menge gilt ein im Abkommen vereinbarter Zolltarif
- Vereinheitlichung von Produktstandards , Testverfahren oder Prüfungen von Gütern für die Marktzulassung (nicht-tarifäre Handelshemmnisse)
- gegenseitige Anerkennung geografischer Herkunftskennzeichnung
Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen Produkt- und Produktionsstandards. Die EU könnte nach Abschluss eines Abkommens weiterhin Ware ablehnen, die nicht den am Produkt messbaren EU-Produktstandards entspricht, etwa hinsichtlich des Gehalts von unerwünschten Inhaltsstoffen. Allerdings: Ungleiche Produktionsbedingungen müssen wir ganz grundsätzlich erst einmal akzeptieren. Als Beispiele nennt Franz Sinabell den Umstand, dass Arbeitskräfte in Südamerika nicht nach Kollektivvertrag bezahlt werden oder die Verwendung des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Glyphosat im Ackerbau. Dessen Verwendung können wir den Landwirtinnen und Landwirten im MERCOSUR nicht verbieten, selbst wenn es hierzulande verboten werden sollte. „Wenn wir der Meinung sind, Glyphosat müsse in der EU verboten werden, dann ist das unsere Sache. Brasilien können wir seine Verwendung nicht vorwerfen“, erläutert Sinabell.
„Wir können höchstens Ware ablehnen, die die Glyphosat-Grenzwerte überschreitet.“
Auf der anderen Seite enthält der Vertragsentwurf spezielle Vereinbarungen zu bestimmten Produkten, die über die messbaren Produkteigenschaften hinausgehen. Beispiel Rindfleisch: „Hormonbehandeltes Rindfleisch darf nach Europa weiterhin nicht eingeführt werden, obwohl man diese Hormonbehandlung am Schlachtkörper gar nicht nachweisen kann.“ Die Einhaltung solcher Produktions-Standards würde über Zertifikate und ein entsprechendes Kontrollsystem gewährleistet werden müssen (siehe weiter unten).
Mehr Rindfleisch-Importe?
Was das Abkommen für den Handel mit Rindfleisch konkret bedeuten würde, klingt zunächst etwas kompliziert. Für ein besseres Verständnis des Sachverhalts lohnt sich ein kurzer Blick auf den heutigen Zustand, wie er sich ohne Abkommen darstellt.
Derzeit importiert die EU jährlich rund 200.000 Tonnen Rindfleisch aus den MERCOSUR-Staaten, vor allem Edelteile. Die internationalen Regeln der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization) ermöglichen dies über das Instrument des sogenannten Mindestmarktzugangs . Für den größten Teil dieser Menge, genauer für 153.000 Tonnen, müssen die importierenden Handelsunternehmen einen Zoll in Höhe von 40 bzw. 45 Prozent abführen, je nachdem ob es sich um frisches oder tiefgefrorenes Fleisch handelt. Der kleinere Teil der Importmenge, nämlich 47.000 Tonnen, darf zu einem verminderten Zollsatz von 7 Prozent eingeführt werden. Diese 47.000 Tonnen entsprechen der sogenannten „Hilton-Quote“. Hilton-Quoten für Rindfleisch wurden im Jahr 1979 bei Gesprächen unter dem Dach des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) zwischen der EU und mehreren anderen Handelspartnern vereinbart. Ort der Verhandlungen war das Hotel Hilton in Tokyo. Das GATT war als Handelsabkommen eine Art Vorläufer der 1995 ins Leben gerufenen Welthandelsorganisation WTO.
Sollte das MERCOSUR-Abkommen in Kraft treten, dann ist vorgesehen, die EU-Einfuhrquote für dieses „Hilton-Beef“ von 47.000 auf 99.000 Tonnen zu erhöhen, wobei sich der Zolltarif – für dieses vergrößerte Kontingent – von 7 auf 7,5 Prozent erhöht. Für jede darüberhinausgehende Tonne werden weiterhin 40 bzw. 45 Prozent Zoll fällig. Dazu Franz Sinabell: „Das klingt kompliziert ist aber einfach: die EU erleichtert den Handel mit Rindfleisch, aber nur sehr wenig.“
Die Quote von 99.000 Tonnen zum reduzierten Zolltarif entspricht laut EU-Kommission 1,2 Prozent des EU-Konsums von rund 8 Millionen Tonnen im Jahr 2019. Laut Franz Sinabell vom WIFO brächte das Abkommen also keinesfalls die unbeschränkte Einfuhr von südamerikanischem Rindfleisch nach Europa: „99.000 Tonnen klingt zwar nach viel, aber verglichen mit der Menge, die wir in Europa verzehren, ist es eine überschaubare Menge. Die Angst, dass deswegen die europäische Rinderwirtschaft zusammenbricht, würde ich nicht teilen.“
Viele Menschen aus der Agrarbranche sehen es dagegen ähnlich wie Rudolf Grabner, Rinderexperte von der Landwirtschaftskammer Steiermark: „Die Angst der Bauern ist schon berechtigt. Wir haben bis 2019 einen sehr hohen Anteil an Import von Beiried und Lungenbraten aus Südamerika gehabt, vor allem in Richtung Gastronomie. Der Lungenbraten macht ca. 1 % des Schlachtkörpers aus, beim Beiried sind 2-3 %. Das sind bei uns die wertvollsten Teile des Rindes, die die anderen Fleischteile mitbezahlen. Wenn jetzt zusätzlich Beiried und Lungenbraten hereinkommen, schwächt das unseren Absatz bzw. drückt den Preis. Und mit dem Preisrückgang bei den Edelteilen sinkt auch der Preis für den ganzen Schlachtkörper. Das Risiko liegt also nicht unbedingt in den zusätzlichen Mengen, sondern im Preisverfall für die Edelteile. Indirekt könnte das sehr stark wirken.“
Grundsätzlich geht es laut Franz Sinabell beim MERCOSUR-Abkommen in erster Linie um einen leichteren Marktzugang für Industriegüter und Dienstleistungen, von dem europäische, auch österreichische Unternehmen direkt oder indirekt profitieren würden. Wenn etwa die brasilianische Regierung künftig Aufträge vergibt, können EU-Firmen leichter zum Zug kommen. Zudem solle parallel ein Investitionsschutzabkommen vereinbart werden. „Das sind alles Dinge, die sich außerhalb des Agrarsektors abspielen und für europäische Unternehmen deutliche Verbesserungen bringen. Das ist auch der Grund, warum die EU-Kommission das forciert.“
Schaut man dennoch isoliert auf den Bereich Lebensmittel, dann erwartet der WIFO-Ökonom insgesamt „wahrscheinlich ein Nullsummenspiel“, will heißen, für manche österreichischen Betriebe dürfte das Abkommen bessere, für andere schlechtere Bedingungen bringen. Zu den Gewinnern gehörten vor allem Milchprodukte, aber auch Wein aus Europa, die einen besseren Marktzugang in Südamerika bekommen. „Aber klar ist natürlich: Man kann mit einem Partner nur zu einer Vereinbarung kommen, wenn es ein Geben und Nehmen ist. Deshalb erfordern Verbesserungen in bestimmten Bereichen eben Zugeständnisse in anderen Bereichen. Und dazu gehört definitiv der Bereich Rindfleisch.“
Allerdings weist Franz Sinabell darauf hin, dass Rindfleisch zu jenen Produkten zählt, für die es im Abkommen eigene Zusatz-Regelungen gibt. Hormonbehandeltes Rindfleisch zum Beispiel darf auch in Zukunft nicht in die EU eingeführt werden, obwohl dies gemäß WTO-Regeln erlaubt wäre und sich die Behandlung im verkaufsfertigen Fleisch nicht mehr nachweisen lässt. Die Einhaltung solcher vereinbarter Regeln werde, wie in anderen Bereichen auch, über Zertifizierungsunternehmen gewährleistet. Diese schicken ihre Kontrolleurinnen und Kontrolleure zu den Produzenten vor Ort, wo sie die Einhaltung der Regeln per Augenschein, Dokumenteneinsicht und der Entnahme von Stichproben überwachen.
„Das ist ähnlich wie bei der Bio-Produktion. Auch da braucht es Zertifikate, die das Einhalten der Bio-Standards der Waren sicherstellen.“
Kann man solchen Zertifikaten beziehungsweise den ausstellenden Unternehmen vertrauen? Dazu Franz Sinabell:
„Das ist eben nicht nur eine Vertrauenssache, sondern kann bei Gerichten angefochten werden. Wenn man betrogen wird, dann ist es besser, wenn man ein gutes Freihandelsabkommen vereinbart hat, wodurch sichergestellt ist, dass man den Betrüger belangen kann und entschädigt wird.“
Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass unterschiedliche Produktionsstandards die zu unterschiedlichen Preisen nebeneinander liegen, nicht sichtbar sind und so eine Verwässerung des Angebots stattfindet.
Kritik am geplanten MERCOSUR-Abkommen
Die Kritik am geplanten Handelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten betrifft, neben der befürchteten Konkurrenz durch Produkte, die unterhalb des heimischen Standards produziert wurden, nicht zuletzt Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte. So befürchten Umweltorganisationen, aber auch Teile der Wissenschaft, ein erhöhtes Handelsvolumen könne etwa die Rodung von Regenwäldern in Südamerika beschleunigen oder den Druck auf indigene Völker vergrößern, die um ihre Rechte und ihren Lebensraum kämpfen.
So schreibt etwa Greenpeace Österreich per Presseaussendung im Juli 2023:
„Schon jetzt werden in den Mercosur-Ländern (...) 120.000 Hektar Wald jährlich gerodet, um für die EU unter anderem mehr Futtersoja zu produzieren. Mit dem Handelspakt würde die Zerstörung deutlich zunehmen. 90 Prozent der Österreicher:innen gehen zudem davon aus, dass der Handelspakt die heimische Landwirtschaft unter Druck bringen würde.”
In Sachen öffentlicher Meinung beruft sich die Umweltschutzorganisation dabei auf eine Online-Umfrage, die sie zusammen mit einer Handelskette in Auftrag gegeben hatte.
Laut WIFO-Monatsbericht vom November 2020 seien Fragen des Umweltschutzes, von Minderheitenrechten oder des Arbeitnehmerschutzes keine direkt handelsbezogenen Fragen und würden normalerweise auf anderen Plattformen bzw. in Form von separaten Abkommen behandelt. So haben die MERCOSUR-Staaten beispielsweise im Jahr 2007 eine UNO-Resolution über die Rechte indigener Völker angenommen oder 2015 das Pariser Klimaabkommen mitunterzeichnet. Allerdings können solche internationalen Vereinbarungen auf UNO-Ebene häufig ohne Konsequenzen verletzt werden.
„Die Vertragsparteien des Assoziierungsabkommens zwischen EU und Mercosur tragen dieser Situation Rechnung, indem sie die internationalen Vereinbarungen explizit nennen und Regeln zur Streitbeilegung vorsehen“, schreibt dazu das WIFO und ergänzt:
„Ein Handelsabkommen kann kein besseres Instrument zur Durchsetzung von Umweltverpflichtungen sein als ein Umweltvertrag. Dass Umweltbelange ein explizites Element des Assoziierungsabkommens sind, verleiht jedoch Umweltverpflichtungen zusätzliches Gewicht.“
Franz Sinabell sieht in dem Abkommen auch in puncto Umweltschutz eine Vergrößerung des eigenen Handlungsspielraums: „Als Europäer haben wir damit einen zusätzlichen Hebel, um Entwicklungen, die diesen Vereinbarungen zuwiderlaufen, zum Thema zu machen und zumindest einen Ansprechpartner zu finden.“
Die EU-Kommission argumentiert zudem, dass die zusätzlichen 99.000 Tonnen an Rindfleisch-Importen in Südamerika nicht zu einem signifikanten Produktionswachstum führen würden. So produziere allein Brasilien jährlich 11 Millionen Tonnen und müsse sich die Exportquote mit den anderen MERCOSUR-Staaten teilen. Auf der anderen Seite lässt sich festhalten, dass die Selbstversorgung mit Fleisch in der EU hoch ist und in speziell für Rindfleisch in Österreich an die 150 Prozent reicht. „Notwendig“ wären Importe aus weit entfernten Ländern in diesem Sinne nicht.
Wann und ob überhaupt das geplante Abkommen in Kraft treten kann, ist ungewiss. Auf EU-Seite braucht es dazu die Zustimmung der einzelnen EU-Staaten. Die aktuelle österreichische Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm.