Wie und warum unsere Böden gefährdet sind
In Industrienationen wie Österreich nimmt die landwirtschaftlich genutzte Fläche ab. Dafür wird immer mehr Boden versiegelt. Die Bevölkerung braucht für den Anbau von Lebens- und Futtermitteln und Agrartreibstoffen viel Fläche, beansprucht diese aber zunehmend anderswo auf der Welt. Mit Folgen für Menschen und Umwelt im In- und Ausland.
Veröffentlicht im Jänner 2017
Aktualisiert im Juli 2024
Man nehme ein Tal in Österreich, eines das von der ländlichen Abwanderung kaum betroffen ist. Entlang der Talsohle verlaufen ein Fluss, eine Straße und eine Eisenbahnstrecke. Die Seitenhänge sind bedeckt mit Wald und Wiesen. Der Winter- und Sommertourismus boomt. Der Bedarf nach Konsumgütern wie Lebensmitteln ist in den vergangenen Jahrzehnten angestiegen. Dennoch wachsen die Seitenhänge immer mehr mit Wald zu. Auf den fruchtbaren Böden der Talsohle entstehen Gebäude, Parkplätze und Straßen. Ein Blick über das Ende des Tales und die Grenzen Österreichs hinweg lässt erahnen, wie das möglich ist.
Die landwirtschaftlich genutzte Fläche Brasiliens ist in 60 Jahren um rund die Hälfte ausgeweitet worden. Die Bevölkerung ist von 75 Millionen auf mehr als 200 Millionen Menschen angewachsen. Auch die Einwohnerzahlen in Nordamerika und Europa sind gestiegen, wenn auch vergleichsweise gering. Dennoch zeigt sich hier ein ganz anderes Bild. 1961 waren 43 Prozent der Landesfläche Österreichs landwirtschaftlich genutzt, 2021 nur mehr 32 Prozent. In ganz Nordamerika und Europa zeigt sich ein ähnlicher Trend. Die Bevölkerung nimmt zu, die Agrarflächen werden weniger. Auch die Fördermittel der EU konnten diese Entwicklung nicht aufhalten.
Landwirtschaft auf fremden Böden
Sozial- und Umweltstandards in Entwicklungs- und Schwellenländern sind nicht dieselben wie in Österreich. Ein Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist der Sojaanbau in Südamerika. Mit Abstand größter Kunde der Produzenten von Sojaöl und -schrot ist China. Aber auch die europäischen Importzahlen sind beeindruckend. Europa importiert jährlich etwa so viel Soja wie alle 450 Millionen Europäer an Körpergewicht auf die Waage bringen. Um die Flächen dafür zu schaffen, wurde Weide- oder Brachland genutzt oder Wald abgeholzt. Innerhalb von drei Jahrzehnten verloren Mittel- und Südamerika rund 13 Prozent ihrer gesamten Waldfläche, während in Europa und Nordamerika Agrarflächen verwalden.
Eine weitere Pflanze, die in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung gewonnen hat, ist die Ölpalme. Laut dem österreichischen Verein für Konsumenteninformation VKI hat sich die Anbaufläche von Palmöl seit 1990 weltweit vervierfacht. Diese Entwicklung habe teils gravierende ökologische und soziale Folgen in den Produktionsländern. “Rodung von Regenwäldern, Zerstörung der biologischen Vielfalt durch Monokulturen, Wassermangel, Landraub, Lohnsklaverei, Kinderarbeit und gewalttätige Auseinandersetzungen sind die Kehrseiten der Medaille”, so der VKI. Palmöl steckt in vielen verarbeiteten Lebensmitteln, zum Beispiel in den meisten Süßigkeiten.
Der Weltagrarbericht weist auf das Problem des “Landgrabbing” hin. Investoren kaufen oder pachten Land in Schwellen- und Entwicklungsländern und bewirtschaften es mit Monokulturen. Die Ernte geht in den Export, der einheimischen Bevölkerung wird die Lebensgrundlage genommen. “Dabei bewegen sich die internationalen Investoren ebenso wie die staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Verkäufer oft in Grauzonen des Rechts und in einem Niemandsland zwischen traditionellen Landrechten und modernen Eigentumsverhältnissen”, heißt es auf der Webseite des Weltagrarberichts.
Ein weiteres kontroverses Thema bezüglich der Nutzung von Böden ist die Produktion von “Biosprit”. Aus Pflanzen gewonnener Treibstoff wurde in den vergangenen Jahren zum Konkurrenzprodukt für Lebensmittel. Sojaöl, Palmöl und einige weitere Öle landen nicht nur in menschlichen und tierischen Mägen, sondern auch in den Tanks von Kraftfahrzeugen. Laut dem deutschen Bodenatlas werden auf der Welt täglich 300 Millionen Liter Biosprit produziert. “Bei täglich fast 800 Millionen Hungernden ein ethischer Konflikt”, ergänzen die Autoren.
Österreich verliert rund 11 Hektar pro Tag
Kommen wir zurück nach Österreich. Als “gesegnetes Land” bezeichnen Bodenexperten Österreich, wenn man sie fragt, ob die heimischen Böden gut für Landwirtschaft geeignet sind. Österreichs Böden sind im internationalen Vergleich fruchtbar, die klimatischen Bedingungen vergleichsweise günstig und Wetterextreme nach wie vor selten. In Filminterviews mit Land schafft Leben erwähnen Bauern immer wieder, dass die Böden ihre Lebensgrundlage seien und sie schon deshalb dementsprechend nachhaltig darauf achten würden. Bodenexperte Andreas Baumgarten spricht im Interview mit Land schafft Leben gesetzliche Rahmenbedingungen und das Agrar-Umweltprogramm ÖPUL an, die sich positiv auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken würden. Die freiwilligen ÖPUL-Maßnahmen dienen dem Umweltschutz, die Bauern bekommen zusätzliche Zahlungen der EU.
“Grundsätzlich ist die Qualität der landwirtschaftlich genutzten Böden in Österreich als gut einzustufen, wobei sich sowohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch freiwillige Programme wie ÖPUL positiv auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken.”
Andreas Baumgarten, Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit (AGES)
Trotz ihrer Fruchtbarkeit sind die heimischen Böden gefährdet. Versiegelung, Verdichtung, Erosion und Verwaldung - in dieser Reihenfolge sieht Andreas Baumgarten, Präsident der Österreichischen Bodenkundlichen Gesellschaft, die Gefährdungen für heimische Böden. Von 2019 bis 2021 wurden in Österreich im Schnitt pro Tag 11,3 Hektar verbraucht, das entspricht etwa der Fläche von 16 Fußballfeldern. Aus landwirtschaftlich genutzten oder nutzbaren Böden werden Bau- und Verkehrsflächen. Das Ausmaß des Flächenverbrauchs schwankt von Jahr zu Jahr, 2015 bis 2017 waren rund 13 Hektar pro Tag betroffen. Die “Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung” der Bundesregierung will seit Jahren den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag beschränken. Seit der Jahrtausendwende nahm laut Statistik Austria die Flächeninanspruchnahme um über 25 Prozent zu. Die Bevölkerung wuchs währenddessen um nur neun Prozent. Der Anteil der Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, nahm in den vergangenen Jahrzehnten stark ab.
Viel Verkaufsfläche und viele Straßen
Zum Flächenverbrauch zählen neben Straßen und Gebäuden auch Parks und die privaten Gärten von Häusern. Kaum ein Land in Europa hat wie Österreich 15 Meter Straße pro Kopf. Auch die Einzelhandel-Verkaufsfläche fällt mit 1,6 Quadratmeter pro Einwohner in Österreich groß aus. Mario Winkler, Pressesprecher der Hagelversicherung weist darauf hin, dass, wenn Einfamilienhäuser, Firmengelände oder Verkaufsflächen im Grünen entstehen, brauchen sie zusätzlich eine Straße, die dorthin führt. Mario Winkler fordert, die Ortskerne wieder mehr zu beleben und brachliegende Flächen zu nutzen.
“Um Fläche zu sparen sollte verstärkt in die Höhe und Tiefe gebaut werden. Ebenso könnte die Revitalisierung von Ortskernen und leerstehenden Industrie- und Gewerbeimmobilien dabei helfen die Verbauung einzudämmen.”
Mario Winkler, Hagelversicherung
Weltweit haben sich Menschen in der Geschichte vor allem dort angesiedelt, wo die fruchtbarsten Böden sind. Städte wie New York und Wien stehen auf ehemals fruchtbaren Böden. Die Flächen unter dem Flughafen Wien-Schwechat würden zu den landwirtschaftlich wertvollsten Österreichs zählen, wären sie nicht längst versiegelt. Andreas Baumgarten von der AGES sieht dieses Problem auch heute noch. In der lokalen Raumplanung würde der Bodenschutz “nach wie vor überhaupt nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt”. Als positives Beispiel erwähnt er eine Broschüre des Fachbeirates für Bodenfruchtbarkeit und Bodenschutz, die es lokalen Entscheidungsträgern ermögliche, den Bodenschutz bei der Raumplanung zu berücksichtigen. In Salzburg und Oberösterreich gibt es bereits Bodenfunktionskarten, weitere Bundesländer folgen.
Bodenverdichtung durch schwere Maschinen und Zeitdruck
Die zweitgrößte Gefährdung für landwirtschaftliche Böden ist laut Andreas Baumgarten von der AGES die Verdichtung - das Zusammendrücken von Erde vor allem durch schwere Landmaschinen. Wenn wir Menschen uns in einem Raum aufhalten, fühlen wir uns wohler, wenn die Decke nicht unmittelbar über unseren Köpfen verläuft. Ähnlich geht es den Pflanzen und Bodenlebewesen. Sie fühlen sich wohler, wenn der Boden locker ist. In den vergangenen Jahrzehnten kauften die Bauern immer größere Landmaschinen. Dadurch wurden Böden teilweise zunehmend verdichtet. Auch im Grünland ist Verdichtung ein Problem. Im Unterschied zu Ackerflächen können Wiesen nicht gelockert werden, will man das Gras nicht zerstören.
“Lieferverträge haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die Bodenverdichtung, wenn die Erntetermine unter Berücksichtigung der Witterung und der Bodenverhältnisse flexibel gestaltbar sind.”
Franz Xaver Hölzl, Boden.Wasser.Schutz Beratung
Entscheidend für die Vermeidung von Verdichtung ist unter anderem der Zeitpunkt der Feldarbeiten. Darauf weist Franz Xaver Hölzl von der Boden.Wasser.Schutz Beratung Oberösterreich hin. Je feuchter der Boden, desto mehr drückt sich dieser zusammen, wenn man ihn befährt. Die Landwirte können laut Hölzl bei der Ernte nicht immer auf passende Verhältnisse warten, wenn sie liefern und somit ernten müssen. Als “Risikobereiche” für Bodenverdichtungen nennt er die Frischgemüseproduktion mit täglichen Ernten wie beim Salat und die Erntekampagnen in der Zuckerrüben- und Biogasproduktion. Hölzl empfiehlt in dieser Reihenfolge, die Böden wenn möglich nur bei möglichst trockenem Zustand zu befahren, die Achslasten so gering wie möglich zu halten und “erst dann mit Technik wie optimaler Bereifung oder Reifendruckregelung den Bodendruck nochmals zu reduzieren”.
Zunehmende Verwaldung in Österreich
Um Erosion, der Abtragung von Boden durch Wasser und Wind, entgegen zu wirken, ist laut Bodenexperte Andreas Baumgarten wichtig, dass die Böden permanent bedeckt sind und erosionsanfällige Kulturen in Hanglagen vermindert werden. Die Verwaldung von landwirtschaftlichen Flächen sieht Baumgarten hauptsächlich in Almregionen als bedeutendes Thema. Sieht man sich die Flächenverteilung in den Alpen an, erkennt man die große Bedeutung der Grünlandwirtschaft.
97 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche im Land Salzburg sind Dauergrünland, 96 Prozent in Tirol. Ober- und Niederösterreich haben 43 und 20 Prozent Dauergrünland. Der Rest ist Ackerfläche. Durch die abnehmende Zahl an Bauern, vor allem an Milchbauern, verwalden immer mehr Grünlandflächen. Seit 1995 gaben täglich knapp 6 Milchbäuerinnen und Milchbauern die Landwirtschaft auf. Grünlandexperte Karl Buchgraber hofft, dass es auch weiterhin Bauern geben wird, die Grünland abseits der Gunstlagen bewirtschaften.
“In den Gunstlagen sind die Flächen sehr gefragt, während in den Berglagen Grünlandflächen einfach aufgegeben werden. Ich hoffe doch, dass es für unsere Bauern interessant bleibt, diese Landschaft zu bewirtschaften.”
Karl Buchgraber, HBLFA Raumberg-Gumpenstein
Die Seitenhänge von Alpentälern waren ursprünglich vollständig bewaldet. Wald und Grünland haben mehrere Eigenschaften gemeinsam. Sie binden CO2, erzeugen Sauerstoff und schützen vor Erosion. Karl Buchgraber weist auf die Bedeutung einer Mischung aus Wald- und Grünflächen für die Kulturlandschaft und den Tourismus hin und erzählt die Geschichte der Grünlandwirtschaft anhand des steirischen Ennstals: “Die Seitenhänge waren alle voll mit Wald. Die hat vor 500, 600 Jahren der Bauer der Fläche abgerungen, hat geholzt und die Hänge zu Grünland gemacht. Dadurch ist auch diese liebliche Landschaft entstanden.” Jedes Jahr wachse ein Stück dieser Landschaft zu, “weil es immer weniger Bauern gibt, die die Bewirtschaftung machen.” In anderen Ländern werden gleichzeitig Wälder abgeholzt, um Lebens- und Futtermittel und Biosprit für Europa zu produzieren.
Autor: Martin Pötz
> MILCH: Dauergrünland, Weiden und Almen
Wie der Boden und seine Bewohner Pflanzen und somit uns Menschen ernähren, zeigt die Videoreihe "Der Weg der Nährstoffe":