Insekten und Vögel werden immer weniger, ganze Arten verschwinden. Vermutungen, wer oder was daran schuld ist, gibt es viele. Experten überraschen im Gespräch mit Land schafft Leben, indem sie eine Ursache als klar bedeutendste nennen. Dennoch braucht es viel mehr als ein paar Maßnahmen, um noch Schlimmeres zu verhindern und unsere Umwelt wieder bunter werden zu lassen.
Veröffentlicht im September 2019
Wildblumen blühen in allen Farben. Schmetterlinge, Bienen, Wildbienen, Hummeln fliegen in großer Zahl von Blüte zu Blüte. Auf einem Schotterparkplatz mitten in der kleinen Stadt Schladming scheint die Vielfalt zuhause zu sein. Dieses Fleckchen zwischen Kirche und dem Büro von Land schafft Leben hat für uns Menschen keine besondere Bedeutung. Nur bei Großereignissen wird es als Parkplatz genutzt. Wildwachsende Pflanzen freut’s und die Insekten scheinbar auch.
Seit der Weltbiodiversitätsrat IPBES einen Bericht über die weltweite Situation der Arten veröffentlicht und damit für medialen Aufruhr gesorgt hat, freut man sich vielleicht ein bisschen mehr über ein Fleckchen, auf dem es blüht und summt. Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind laut der UN-Organisation vom Aussterben bedroht. Der Schuldige wird klar definiert, der Mensch. Veränderungen werden vor allem von der Landwirtschaft gefordert.
Mensch und Nutztiere viel schwerer als wilde Säugetiere
Schon immer drängte der Mensch die Natur zurück, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Die Verdrängung der Wildtiere begann bereits, als nur ein paar Menschen auf der Erde lebten. Diese jagten derart erfolgreich, dass sie die meisten Großsäugetiere ausrotteten. 2,5 Millionen Jahre später hat der Mensch längst die Herrschaft übernommen, zumindest an Land. Das Gewicht, das die 7,6 Milliarden Menschen auf die Waage bringen ist um ein Vielfaches höher als jenes aller wilden Landsäugetiere. Die Nutztiere des Menschen wiegen sogar mehr als er selbst.
Heimliche Herrscher sind aber nach wie vor die Insekten. Alle Ameisen zusammengerechnet wiegen etwa gleich viel wie alle Menschen. Sie gehören zu den Insekten und machen ihre Klasse zu jener, die unter den Landlebewesen das größte Gewicht hat. Noch viel mehr bringen Fische und weitere Lebewesen in den Weltmeeren auf die Waage.
Rückgang der Artenvielfalt „völlig außer Frage“
Um zu erfahren, wie dramatisch das Artensterben in unserer Zeit ist, haben wir uns mit Österreichs führenden Experten zum Thema Artenvielfalt getroffen. Für Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien besteht kein Zweifel, dass ein „enormer Rückgang“ der Artenvielfalt Realität ist. Besonders in stark besiedelten, intensiv genutzten Gegenden der Erde, wie Europa. Diskussionen über einzelne Untersuchungen würden völlig am Thema vorbeigehen, etwa über die in der Nähe von Düsseldorf über 27 Jahre durchgeführte Krefelder Studie, die viel Beachtung fand. Denn es gebe „eine ganze Menge an Studien“ und Monitorings aller Art, die zu einer eindeutigen Erkenntnis kämen – Insekten, Vögel und andere Wildlebewesen werden immer weniger und viele Arten verschwinden.
Auch Martin Lödl, Zoologe am Naturhistorischen Museum Wien, ist sich sicher, dass der Mensch andere Lebewesen in großem Maßstab zurückdrängt. Arten würden deswegen nicht gleich aussterben, was besonders für Insekten gelte. Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Nahrungskette, ihr Schicksal mit jenem von vielen anderen Tierarten eng verbunden. Passen die Bedingungen aber irgendwann doch wieder, würden sich Insekten schnell wieder vermehren. Schon kleine Rückzugsgebiete würden ausreichen, um Arten zu erhalten, so Lödl. Aber selbst diese seien mittlerweile im stark besiedelten Europa alarmierend rar.
Vom „sechsten Massensterben“ ist immer wieder die Rede. Franz Essl meint, dass es eine kritische Grenze gebe, bei der Ökosysteme kollabieren: „Der Verlust einer oder vielleicht von zehn Arten in einem Gebiet hat vielleicht wenig spürbare Auswirkungen. Aber je dünnmaschiger das Netz wird, desto instabiler werden Ökosysteme.“ Auswirkungen davon seien, dass sich anpassungsfähige Schädlinge leichter vermehren könnten und dass instabile Ökosysteme schlechter Wetterextreme und Naturkatastrophen abwehren können.
Keine Sorge um die Honigbiene, aber um Vögel
„Die Honigbiene macht mir keine Sorgen, die ist ein Haustier“, sagt Zoologe Martin Lödl. Seine Kollegin am Naturhistorischen Museum, Wildbienen-Expertin Dominique Zimmermann bezeichnet sie im Interview mit der Rechercheplattform Addendum sogar als „eines der am wenigsten bedrohten Tiere der Erde“. Wie viele Honigbienenvölker es in Österreich gibt, hängt laut Addendum-Recherche vor allem damit zusammen, wie viele Österreicher gerade als Imker tätig sind. Zimmermann weist darauf hin, dass Honigbienen bei einem begrenzten Blütenangebot sogar eine Konkurrenz zu Wildbienen seien. Demnach wären zu viele Honigbienen sogar schlecht für die Vielfalt in der Insektenwelt insgesamt.
Viel schlechter steht es um andere Flieger, glaubt man der Vogelschutzorganisation BirdLife Österreich. „Du stehst am Feld und es ist still. Das charakteristische Singen ist einfach nicht mehr da“, sagt Geschäftsführer Gábor Wichmann. Besonders Vögel, die von Äckern und Wiesen abhängig sind, gehen stark zurück. Das zeigt der Farmland Bird Index, den das Nachhaltigkeitsministerium als offiziellen Indikator heranzieht. BirdLife Österreich erstellt ihn mithilfe Freiwilliger, die Vögel beobachten und zählen.
„Das Schlimme ist, dass du in einem Menschenleben beobachten kannst, wie schnell die Vielfalt zurückgeht.“
Gábor Wichmann, BirdLife Österreich
1998 war die Feldlerche Vogel des Jahres, weil man auf ihre prekäre Situation hinweisen wollte. 2018 war sie das wieder. In diesen 20 Jahren hat sich ihr Bestand halbiert. Die Feldlerche sei zwar nicht vom Aussterben bedroht, so Wichmann, aber ihre Bestandsentwicklung sei beängstigend. Aus Österreich vollkommen verschwunden ist der Ortolan. Und von der Blauracke gibt es mit Stand 2019 nur mehr vier bis sechs Vögel in der Südoststeiermark. Am 1. August 2019 freute sich BirdLife, als zwei geschlüpfte Jungvögel entdeckt wurden.
Hauptursache für den Rückgang der Vielfalt
Über die weltweit bedeutendste Ursache für das Verschwinden von Wildtieren und Arten sind sich die Experten einig. Klimawandel, Lichtverschmutzung oder gar Windräder sind es nicht. Hauptursache ist der Verlust von Lebensraum. Die Menschen werden immer mehr und beanspruchen immer mehr Fläche.
„Die Ursache ist zu 99,9 Prozent der Lebensraumverlust. Vergessen Sie alles, was an anderen, sekundären Ursachen momentan kolportiert wird.“
Martin Lödl, Naturhistorisches Museum Wien
Reine Natur ist laut Lödl nur dann gegeben, wenn der Mensch keine energetische Hoheit über eine Fläche ausübt, nicht einmal vorübergehend. In Österreich gebe es abgesehen von unberührten Stellen im Hochgebirge kaum mehr echte Natur, so Lödl. Alles andere sei naturnah oder gar nicht mehr Natur. Zu Letzterem zählt er stark gepflegte Stadtparks, aber auch landwirtschaftliche Flächen. Äcker sind, nach Lödls Definition von Natur, genau das Gegenteil davon. Intensiv bewirtschaftete Wiesen, die mehrmals im Jahr geschnitten werden, auch.
Dass der Mensch fast die gesamte österreichische Landesfläche beansprucht ist nichts Neues, nun verschwinden nach und nach die Rückzugsgebiete. Und zwar jene, die wir als solche gar nicht wahrnehmen. Martin Lödl spricht von einem „Hygienisierungsdrang“. Der Mensch will alles sauber und in Ordnung haben. Dabei wäre gerade das, was wir als unordentlich wahrnehmen, ein kleines Paradies für die Vielfalt. Dazu aber später.
Faktor Landwirtschaft: Der Bauer allein kann’s nicht richten
Den größten Teil der unbewaldeten Kulturlandschaft in Europa machen landwirtschaftliche Flächen aus. Immer wieder werden Bauern als die Hauptverantwortlichen für das Artensterben genannt. Ihnen allein die Schuld zuzuschieben, dagegen sprechen sich die von uns befragten Experten aus. „Aber“, ergänzt Biologe Franz Essl, „ist klar, dass das derzeitige Landwirtschaftssystem in Europa nicht ausreichend den Schutz der Artenvielfalt fördert.“
Überlassen die Bauern die Ackerbauflächen der Natur, gibt es keine Ernte. Mähen sie im Grünland aus Rücksicht auf blühende Pflanzen und Insekten weniger oft, haben sie einen wirtschaftlichen Nachteil. Heute mähen viele Bauern in den Gunstlagen bereits vier-, fünfmal im Jahr, um besonders viel Futter mit viel Nährstoffen aus einer Wiese herauszuholen. Blühende Pflanzen, die Insekten Nahrung bieten, haben da keine Chance.
„Das muss man verstehen“, meint Martin Lödl. „Es ist leicht, von anderen Entbehrungen zu verlangen, wenn man diese nicht selbst teilen muss“, mahnt er Konsumenten, die über Bauern schimpfen, aber selbst nicht bereit wären, mehr für Lebensmittel zu zahlen. Franz Essl ergänzt, es brauche „Aktivitäten von Konsumenten und Landwirte gemeinsam, um eine nachhaltige Landwirtschaft zu erreichen.“ Viele Kunden seien bereit, mehr zu bezahlen, wenn dies mit einem Mehrwert für die Artenvielfalt und eine bäuerliche Landwirtschaft verbunden sei.
„Die Landwirtschaft in Europa und Österreich ist derzeit nicht ausreichend nachhaltig. Aber, eine umweltverträgliche Landwirtschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben, das muss allen klar sein.“
Franz Essl, Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien
Auswirkung von Pflanzenschutzmitteln umstritten
Ob chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel in großem Stil unschädliche Insekten vernichten, ist umstritten. Genauso wie die Frage, ob die aufwändigen Zulassungsverfahren für Wirkstoffe diese bei richtiger Anwendung sicher machen. Die Wirkstoffgruppe Neonicotinoide ist in Europa etwa nicht mehr zugelassen, weil sie bienengefährlich ist. Im Bio-Bereich sind vereinzelt Wirkstoffe zugelassen, die zwar aus der Natur kommen, aber auch das Potenzial haben Insekten zu vernichten. Auch für Bio-Pflanzenschutzmittel gibt es daher ein Zulassungsverfahren.
Was das Verbot einzelner Wirkstoffe bewirken kann, zeigten die vergangenen Jahre. 2018 gab es eine historisch schlechte Kartoffelernte in Österreich, weil der Drahtwurm nicht mehr bekämpft werden konnte. Die Folge waren Kartoffelimporte aus Ländern, in denen die heimischen Umweltschutzgesetze nicht gelten.
Es gibt zwei konträre Ansätze, um Land umweltschonend zu bewirtschaften. Land Sparing ist die Idee, Flächen möglichst intensiv zu nutzen und Erträge zu maximieren. Dafür spart man Platz, der dem Naturschutz gewidmet wird. Ein gegenteiliger Ansatz ist Land Sharing. Man bewirtschaftet eine Fläche so, dass auch die Natur etwas davon hat, dafür sind die Erträge geringer. Dazwischen liegt eine Kombination aus beidem, die besonders in alpinen Regionen praktiziert wird. Weniger ertragreiche Flächen werden eher extensiv genutzt, beispielsweise steile Wiesen weniger oft gemäht. Ertragreiche Böden wie jene im Marchfeld werden im Rahmen der Umweltschutzvorschriften intensiv genutzt, um einen hohen Output an hochwertigen Lebensmitteln wie Gemüse zu erzielen.
Unordnung als Chance
Wir Menschen brauchen zu viel Lebensraum, wir sind also zu viele. Die Senkung der Bevölkerungsdichte ist aus Sicht von Martin Lödl die Lösung gegen die Verdrängung der Natur. Auf organischem, vernünftigem, leidlosem Weg, betont der Zoologe. Bei hohem Lebensstandard würden naturgemäß die Zahl der Nachkommen sinken. Dazu brauche es aber auch ein Wirtschaftssystem, das nicht auf ständigem Wachstum basiert sei und mit sinkenden Bevölkerungszahlen zurechtkomme, so Lödl. Franz Essl meint: „Global sind die Hauptursachen des Artenverlusts der hohe Ressourcenverbrauch reicher Länder, sowie auch das starke Bevölkerungswachstum in vielen Ländern.“
Einzelpersonen können die Entwicklung der Weltbevölkerung und -wirtschaft schwer beeinflussen, es gibt aber eine Vielzahl von weniger globalen Möglichkeiten, der Vielfalt mehr Raum zu geben. Für Privatpersonen, Bauern und die Politik. Viele dieser Maßnahmen bedeuten, sich vom eigenen Drang nach Ordnung ein Stück weit zu verabschieden.
Das gilt auch für öffentliche Einrichtungen und Unternehmen. Nicht jedes Eck muss von allen Pflanzen sauber gehalten werden. „Will man als Bürgermeister etwas für die Vielfalt tun, sollte man auf einer unbenutzten Fläche einfach Sand aufschütten und sie dann in Ruhe lassen“, empfiehlt Martin Lödl. Trockenwiesen seien optimale Rückzugsorte für unzählige Tier- und Pflanzenarten.
Mut zur Unordnung ist das Motto für alle, die einen lebendigen Hausgarten haben möchten. Zunächst lohnt sich ein Blick, welche Pflanzen schon da sind und von Insekten und anderen kleinen Tieren augenscheinlich genutzt werden. Vom Frühjahr bis in den Herbst sollte immer was blühen. Ein Rasen, der täglich von einem Roboter gemäht wird, ist genau das Gegenteil dessen, was Insekten brauchen. Am besten blühende Pflanzen wie Gänseblümchen, Löwenzahn und Klee nicht gleich umschneiden. Besonders bunt wird’s, wenn man zumindest eine kleine Rasenfläche stehen und aufblühen lässt oder auf einem Streifen Erde oder ein Beet im Garten eine regionale Wildblumensamenmischung sät. In Thujen wird man kaum Vielfalt finden, besser sind heimische Wildgehölze als Hecken. Über Laubhaufen freuen sich nicht nur Igel. Auf Altholz und Baumstümpfe sind eine Reihe von Lebewesen angewiesen. Trockensteinhaufen sind ein guter Unterschlupf für Kröten, Spitzmäuse, Käfer, Eidechsen und Hummeln. Über Obstbäume, Büsche und Hecken, Wasserlacken und Trinkstellen freuen sich Vögel. Für die gefiederten Gäste ist das Nahrungsangebot wichtig, also dass viele verschiedene Insekten zu finden sind. Ein Lebensraum für viele Tierarten kann ein „wildes Eck“ sein, wo sich Wildpflanzen ansiedeln und entwickeln können. An Gartenteichen und Feuchtbiotopen erfreuen sich nicht nur wir Menschen, sie gehören zu den lebendigsten Lebensräumen in Hausgärten.
Weitere Infos:
> Die Umweltberatung: Naturnische Hausgarten
> BirdLife Österreich: Gefiederte Gäste im Hausgarten
Ein Blühstreifen von Salzburg bis Wien
Dass Bauern auf ihren Feldern ungern alles wuchern lassen, ist klar. Wildpflanzen nehmen Kulturpflanzen am Feld Platz, Licht und Nährstoffe weg. Nicht umsonst gibt es den Begriff „Unkraut“. Das Bewusstsein für die Vielfalt steigt allerdings. Waren vor ein paar Jahren noch aufgeräumte Landschaften angesagt, an denen sich Feld an Feld reiht, setzen langsam immer mehr Bauern auf Blühstreifen und Landschaftselemente.
Auf einem Feld, egal ob konventionell oder biologisch bewirtschaftet, wächst in der Regel nur eine Pflanze. Blüht diese, bietet sie, wenn überhaupt, nur ganz wenigen Insekten Nahrung. Legen Bauern einen Blühstreifen an, säen sie auf einem Teil ihrer Fläche eine Saatgutmischung, die verschiedene Pflanzensamen enthält. Diese blühen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und locken unzählige verschiedene Insekten an. Hecken und andere Landschaftselemente wie Tümpel und einzelne Bäume sind Elemente, die in landwirtschaftlich genutzten Landschaften zwischen oder auf Feldern stehen und für Abwechslung sorgen. Für viele Wildtiere und -pflanzen sind sie ein wichtiger Rückzugsraum, etwa für Nützlinge wie den Marienkäfer, der auf den angrenzenden Feldern Blattläuse frisst.
Wir sind zu Gast in Wilhering, einer kleinen Gemeinde an der Donau nahe Linz. Hier gibt es besonders viele Blühstreifen. Die Initiative dazu setzte der ehemalige Bauer Stefan Pröll. Er organisierte eine Veranstaltung bei der Bauern, aber auch Unternehmen und Hausgartenbesitzer auf das Thema Artenvielfalt aufmerksam wurden. Viele Wilheringer entschieden sich, selbst etwas für Insekten und Wildtiere zu tun.
Die fachliche Unterstützung für das Anlegen von Blühstreifen erhielten sie vom Bienenzentrum Oberösterreich und vom Maschinenring Oberösterreich. Ersteres ist verantwortlich für die Aktion „Blühstreifen – mach mit“. Leiterin Petra Haslgrübler hat sich zum Start der Aktion im Herbst 2017 das Ziel gesetzt, dass Bauern Blühstreifen anlegen, die mit drei Metern Breite gerechnet insgesamt zehn Kilometer Länge ergeben. Geworden sind es im Vorjahr in Oberösterreich 300 Kilometer. Das wäre, wie wenn von Salzburg bis Wien entlang der Autobahn ein drei Meter breiter Blühstreifen steht.
„Die Menschen wollen ihre Natur wieder bunter haben.“
Petra Haslgrübler, Bienenzentrum Oberösterreich
Wichtig ist Petra Haslgrübler auch die Außenwirkung der Aktion. Hinweisschilder machen auf Blühstreifen aufmerksam und zeigen Autofahrern und Passanten, wer sie angelegt hat und was sie bewirken. In der Bevölkerung wie in der Landwirtschaft stellt Haslgrübler ein steigendes Bewusstsein fest: „Immer mehr Bauern wollen aktiv etwas für die Artenvielfalt tun.“ Die Aktion „Blühstreifen – mach mit“ vom Bienenzentrum Oberösterreich hat bereits Nachahmer gefunden, in Kärnten, Salzburg und dem Burgenland. Weitere Bundesländer werden folgen.
Vielfalt als gesellschaftliches Anliegen
Blühstreifen können eine der Voraussetzungen erfüllen, um als Bauer Förderungen zu bekommen, die dem Umweltschutz dienen. Das allein reicht aber nicht als Motivation. Die Blühmischungen bezahlen die Bauern selbst. Und sie verzichten bei einem Teil ihrer Felder auf Ernteerträge. Förderungen sind ein wesentlicher Anreiz für Bauern, wirtschaftliche Nachteile für die Artenvielfalt in Kauf zu nehmen.
Das von EU, Bund und Ländern finanzierte Fördersystem zahlt an Bauern, wenn sie bestimmte Maßnahmen umsetzen. Einige davon dienen direkt oder indirekt der Artenvielfalt. Die am meisten umgesetzte Maßnahme heißt „Umweltgerechte und biodiversitätsfördernde Bewirtschaftung“, kurz „UBB“. Sie gibt unter anderem vor, dass fünf Prozent der von einem Betrieb landwirtschaftlich genutzten Flächen Biodiversitätsflächen sein müssen. Das heißt, Grünland darf erst später gemäht werden, fünf Prozent der Äcker müssen Blühstreifen sein. Eine weitere Maßnahme, die Vielfalt fördert, ist etwa die „Einschränkung ertragssteigernder Betriebsmittel“ wie chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel und Stickstoffdünger. Die Maßnahme „Bewirtschaftung von Bergmähwiesen“ zielt darauf ab, dass Bauern höchst aufwändig steile Flächen bewirtschaften. Extensiv genutzte Wiesen beherbergen mehr Tier- und Pflanzenarten als wenn man diese Flächen der Natur überlassen würde. Auch Umweltauflagen aus der so genannten „Ersten Säule“ der Förderungen sind wichtig, etwa die Förderung der so genannten „Bienentrachtbrache“. 2019 wurden alleine in Oberösterreich 600 Hektar von diesen insektenfreundlichen Flächen angelegt.
„Ich glaub, man kann nicht alles über Förderungen machen“, sagt Lukas Weber-Hajszan vom Nachhaltigkeitsministerium im Gespräch mit Land schafft Leben. Auch Bewusstsein und Freiwilligkeit seitens der Bauern brauche es. Die bestehenden Maßnahmen hält er aber für sehr sinnvoll. Evaluierungen zeigten positive Effekte. Wird etwa Grünland durch eine Förderung später im Jahr erstmals gemäht, blühen länger Pflanzen und es gibt mehr Insekten. Durch die Maßnahme UBB wurden in Österreich schon über 80.000 Hektar Biodiversitätsflächen geschaffen. Besonders im Ackerland würde sich die positive Wirkung der Blühflächen schon zeigen, so Weber-Hajszan.
„Im Ackerland gibt’s gute Evaluierungsergebnisse, die zeigen, dass die Blühflächen wirklich was bringen.“
Lukas Weber-Hajszan, Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, Abteilung II/3 – Agrarumwelt (ÖPUL), Bergaubern und Benachteiligte Gebiete, Biologische Landwirtschaft
Die Initiative „Klimafreundliche Landwirtschaft“, von Greenpeace, Bio Austria und weiteren Organisationen fordert, dass biodiversitätsfördernde Maßnahmen gar flächendeckend umgesetzt werden. Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria, meint auf einer Pressekonferenz im August 2019: „Dafür muss für jeden bäuerlichen Betrieb eine Biodiversitäts-Fördermaßnahme angeboten und entsprechend abgegolten werden.“
Weber-Hajszan erwähnt neben den von zigtausenden Betrieben umgesetzten Maßnahmen einzelne Projekte, die gezielt Vielfalt schützen. Etwa das Pilotprojekt „Ergebnisorientierter Naturschutz“. Dabei werden keine Maßnahmen vorgegeben, sondern ökologische Ziele, die der Bauer erreichen muss. Dem Bauern wird beispielsweise nicht vorgeschrieben, dass er später mäht, sondern dass bestimmte Wildpflanzen oder Insekten auf seiner Wiese zu finden sein müssen. Wie er das erreicht, bleibt ihm selbst überlassen. An dem Pilotprojekt nehmen mit Stand 2019 knapp 150 Betriebe teil. Zum Vergleich, die Maßnahme UBB setzten 2018 rund 51.500 Betriebe um.
Außerdem spricht Weber-Hajszan spezielle Fördermaßnahmen an, etwa zur Förderung der selten vorkommenden Großtrappe. Sie ist einer der größten flugunfähigen Vögel der Welt und kommt vereinzelt in Ostösterreich vor.
Trotz aller Förderungen und freiwilligen Maßnahmen der Bauern „muss man zugeben, dass die messbare Entwicklung bei der Biodiversität (…), um es jetzt positiv zu formulieren, nicht unbedingt sehr günstig sind“, sagt Lukas Weber-Hajszan. Und ergänzt: „Ohne Förderungen würde es um die Artenvielfalt noch schlechter stehen.“
Auf dem eingangs erwähnten Schotterparkplatz mitten in Schladming blüht übrigens nichts mehr, denn er wurde gemäht. Von den vielen bunten Wildblumen, die hier gewachsen sind, ist nichts mehr übrig. An die unzähligen Insekten und bunten Schmetterlinge hat wohl niemand gedacht. Andererseits hat die Stadt Schladming beim Ortseingang am Straßenrand eine Blühwiese angelegt. Ein Stück Bewusstsein ist also schon da, wie bei immer mehr Österreichern.
Autor: Martin Pötz
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