Vom (Über-)Lebensmittel zum Wegwerfprodukt
30 bis 40 Prozent der produzierten Lebensmittel landet weltweit im Müll. Österreich ist Mittäter der Verschwendung und verantwortlich für rund eine Million Tonnen vermeidbarer Lebensmittelabfälle im Jahr. Damit erlebt das Lebensmittel im 21. Jahrhundert einen drastischen Wertverlust.
Veröffentlicht am 01. Oktober 2020, aktualisiert im November 2024
Wer kennt es nicht? Ein, zwei schrumpelig gewordene Äpfel, Reste vom Gericht des Vortags, ein halbes Joghurt in den tiefsten und dunkelsten Ecken des Kühlschranks: Zuhause lassen wir die Tonne zum Tatort werden und sind damit Teil einer Gesellschaft, die massiv wertvolle Lebensmittel verschwendet. Und das nicht nur zuhause: Die Orte der Verschwendung ziehen sich durch die gesamte Wertschöpfungskette: von der landwirtschaftlichen Produktion über die Verarbeitung, die Gastronomie, die Gemeinschaftsverpflegung, den Supermarkt bis zu uns nach Hause. Die Summe der vermeidbaren Lebensmittelabfälle (landwirtschaftliche Produktion ausgenommen) liegt geschätzt bei rund einer Million Tonnen pro Jahr.
Vermeidbare Lebensmittelabfälle beschreiben jene Lebensmittelabfälle, die zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung noch uneingeschränkt genießbar sind oder die bei rechtzeitiger Verwendung genießbar gewesen wären, aber entweder nicht marktgängig waren bzw. aus verschiedenen Gründen nicht gegessen wurden und daher entsorgt werden müssen. Beispiele sind weggeworfene verpackte oder nicht verpackte Lebensmittel oder Speisereste in privaten Haushalten und beim Außerhausverzehr, die zum Zeitpunkt des Wegwerfens noch uneingeschränkt genießbar gewesen wären.
Nicht vermeidbare Lebensmittelabfälle sind jene Lebensmittelabfälle, die üblicherweise im Zuge der Speisenzubereitung entfernt werden. Beispiele sind Zubereitungsreste wie Apfelgehäuse, Fischgräten oder Knochen.
„Zumindest sind wir nicht alleine damit“ wäre hier der relativierende, beschwichtigende Spruch, doch macht es das nicht besser: Neben Österreich verschwenden auch andere Staaten – allen voran die Industrieländer – riesige Mengen an Lebensmitteln. Laut dem World Resources Institute fallen sogar 56 Prozent der Lebensmittelabfälle weltweit in Industriestaaten an – und das, obwohl diese einen wesentlich kleineren Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen als Entwicklungsländer.
In Europa liegen die Verluste an Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette bei 131 Kilogramm pro Person und Jahr. Gründe dafür sind unter anderem eine mangelnde Abstimmung in der Wertschöpfungskette, Konsumgewohnheiten (z. B. der Kauf einer zu großen Menge an Lebensmitteln durch den Griff zu Aktionsware), Verschwendung in der Produktion von nicht der Norm entsprechenden Produkten und nicht zuletzt übertriebene Vorsicht hinsichtlich des Mindesthaltbarkeitsdatums.
In den als „Entwicklungsländer“ bezeichneten Staaten ist die Verschwendung insgesamt und auch pro Kopf geringer als in den Industriestaaten sowie anders verteilt: Sie verzeichnen mehr Verluste in der Landwirtschaft und der Verarbeitung durch finanzielle und technische Einschränkungen. Beispielsweise können das Probleme bei der Kühlung oder der Lagerung sein. Anders als in Industriestaaten wie Österreich, wo der Großteil der Lebensmittel im Haushalt entsteht, fallen bei Entwicklungsländern deutlich geringere Mengen an Lebensmittelabfall an.
Weltweit landen rund 30-40 Prozent der produzierten Lebensmittel in der Mülltonne. Auf deren Weg entlang der Wertschöpfungskette, also von der Landwirtschaft über die Verarbeitung und den Transport bis in den Handel, verursachen diese Lebensmittel zwischen acht und zehn Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase. Das bedeutet: Zwischen acht und zehn Prozent der Treibhausgasemissionen entstehen umsonst, da diese Lebensmittel noch nicht einmal auf unserem Teller landen. Wäre der Lebensmittelabfall ein eigener Staat, hätte er nach China und USA den drittgrößten Treibhausgasausstoß.
Orte der Verschwendung und ihr Anteil
Die verschwendete Million Tonnen an Lebensmitteln in Österreich lässt sich in fünf Bereiche aufdröseln: den Privathaushalt, den Außer-Haus-Verzehr, die Verarbeitung, den Supermarkt inklusive Großhandel und die landwirtschaftliche Herstellung. Zahlen zur Verschwendung in der landwirtschaftlichen Produktion sind in dieser Grafik aufgrund der dürftigen Datenlage nicht erfasst. Schätzungen der Europäischen Kommission gehen von rund zehn Prozent aus, was den Verlust in der Landwirtschaft mehr oder weniger gleich auf mit jenem im Handel bringt.
Der größte Verschwender ist der Privathaushalt mit einem Anteil von 63 Prozent. Die Verschwendung passiert hier schleichend. Immer wieder verschwenden wir im Haushalt kleine Mengen an Lebensmitteln wie etwa hart gewordenes Brot, Reste vom Vortag oder schimmelig gewordene Marmeladen. Zudem landen immer wieder einwandfreie Produkte mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum im Müll. Pro Person und Jahr sind dies rund 75 Kilogramm. So verlieren österreichische Haushalte im Schnitt 800 Euro im Jahr, die sie für Lebensmittel ausgeben, die sie nicht konsumieren und im Restmüll, Biomüll oder Kanal entsorgen oder die im Kompost landen. Das entspricht etwas mehr, als Haushalte im Durchschnitt für Ernährung und alkoholfreie Getränke über einen Zeitraum von zwei Monaten ausgeben.
An zweiter Stelle folgt die Gastronomie sowie der Außer-Haus-Verzehr mit 16 Prozent. Damit sind die Hotellerie, Gasthäuser sowie Gemeinschaftsverpflegungen in Schulen oder anderen öffentlichen oder betrieblichen Einrichtungen gemeint. Laut der Organisation United Against Waste beläuft sich der Wert der verschwendeten Lebensmittel (ohne Zubereitungsreste) auf rund 320 Millionen Euro.
An dritter Stelle steht die Verarbeitung mit 11 Prozent. Besonders auffallend ist hier der große Anteil an verschwendeten Backwaren, die rund die Hälfte der verschwendeten Lebensmittel in diesem Bereich ausmachen. Beispiele für Verschwendung sind Fehler in der Produktion, wenn etwa Form und Konsistenz von gebackenem Brot nicht der Norm entsprechen.
An vierter Stelle stehen Supermarkt und Großhandel mit zehn Prozent Anteil. Waren, die nicht verkauft wurden und das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, können in diesem Bereich im Müll landen. Auch Backwaren, die den Kundinnen und Kunden zugänglich waren – etwa in Selbstbedienungstheken – können von den Supermärkten entsorgt werden.
Lebensmittelverschwendung am Beispiel Brot: vom Aufsteiger zum Absteiger
Das Brot erlebt im 21. Jahrhundert einen drastischen Karriererückschritt: War es einst Quelle des Lebens, dankbar entgegengenommen und sogar als Belohnung für herausragende Taten überreicht, so ist es heute ein Wegwerfprodukt der Überproduktion, ein Stück verklebten Getreides in einer Mülltonne hinter dem Supermarkt. Diese Gegenüberstellung mag zwei Extreme miteinander verbinden, doch hält sie eine Entwicklung fest, die im kollektiven Gedächtnis bereits in Vergessenheit geraten ist:
Im Mittelalter war Brot das Grundnahrungsmittel schlechthin. Arbeit in der Bäckerei war ein Knochenjob, der dazu diente hungrige Mäuler mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Rund ein halbes Kilogramm Brot musste in den Städten pro Einwohnerin und Einwohner gebacken werden. Und auch später wurde dem Brot auf andere Weise großer Wert zugesprochen: Im 19. und 20. Jahrhundert wurden Gebäcke wie etwa Kaisersemmeln tatsächlich noch kaiserlich behandelt. Man tischte sie nur zu speziellen Feiern als Festtagsschmaus auf und überreichte sie sogar als Geschenk.
Heute können Semmeln bereits um 23 Cent im Supermarkt erworben werden und sind vom noblen goldgelben Schmaus zur Massenware geworden. Anstatt sie jemandem als Geschenk zu überreichen, um die Tradition der noblen Geste weiterzuführen, landen sie nicht selten im Müll. Rechnet man nicht nur die Privathaushalte, sondern auch die Verarbeitung und den Lebensmittelabfall in den Supermärkten mit ein, beläuft sich die jährliche Menge an verschwendetem Brot und Gebäck auf etwa 161.900 Tonnen alleine in Österreich.
Die 161.900 Tonnen an verschwendetem Brot und Gebäck werden wiederum aufgeteilt: Mit 96.900 Tonnen fällt der Großteil im Privathaushalt an. Darauf folgt die Verarbeitung mit etwa 52.000 Tonnen. Der Supermarkt landet auf dem letzten Platz mit einer Menge von 13.000 Tonnen an verschwendetem Brot und Gebäck. Daten zum Außer-Haus-Verzehr sind nicht erfasst.
Welche Lebensmittel verschwenden wir Zuhause?
Brot macht gemeinsam mit Süß- und Backwaren den größten Anteil an verschwendeten Lebensmitteln im Haushalt aus. Ihr Anteil an den gesamten verschwendeten Lebensmitteln im Privathaushalt liegt bei 28 Prozent. An nächster Stelle stehen Obst und Gemüse mit einem Anteil von 27 Prozent. Der Anteil tierischer Produkte wie Milchprodukte, Eier, Käse, Fleisch, Wurstwaren und Fisch beläuft sich auf insgesamt 23 Prozent. Die übrigen 22 Prozent fallen auf sonstige Lebensmittel wie unter anderem Nudeln, Reis und Getränke.
Die Daten beziehen sich auf den Restmüll. Was im Biomüll und im Kompost landet, ist in dieser Berechnung nicht erfasst.
Österreich hat sich bis zum Jahr 2030 zum UN-Ziel verpflichtet, 50 Prozent der vermeidbaren Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Das sind 500 000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr. Damit dieses Ziel auch erreicht werden kann, kooperiert bereits ein Großteil der Supermärkte in Österreich mit sozialen Organisationen, an die sie Lebensmittel spenden. Daneben gibt es noch das zahlreiche Vereine wie etwa Zero Waste Austria, die durch Bewusstseinsbildung zu einer Reduktion von Lebensmittelmüll beitragen.
Was wir als Gesellschaft gegen Lebensmittelverschwendung tun können
Jeder Ort der Lebensmittelverschwendung kann zum Ort der Lebensmittelrettung werden. Für die Verarbeitung bedeutet das, zum Beispiel nicht der Norm entsprechende Lebensmittel anderweitig zu verwerten und so trotzdem noch zu vermarkten oder zu spenden. Hier spielen besonders die Kommunikationsabteilungen eine Schlüsselrolle, da sie Kundinnen und Kunden den Wert von Lebensmitteln – mögen sie in Form und Farbe von der Norm abweichen – vermitteln können.
Supermärkte können Kooperationen mit sozialen Einrichtungen wie den Tafeln eingehen oder sich zum Beispiel mit Lebensmittelrettern und -retterinnen der Plattform „foodsharing“ vernetzen. So können auch noch genießbare Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum jedoch bereits überschritten ist, zu Konsumentinnen und Konsumenten gelangen.
Im Bereich der Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren vor allem das Unternehmen „Unverschwendet“ hervorgetan, deren Businessmodell auf der Veredelung von Lebensmitteln, die auf den Feldern zurückgelassen werden, beruht. Sie verkochen also jegliches Obst und Gemüse, das es vom Feld oder auch von den Obstbäumen nicht in den Handel schafft, zu Chutneys und Marmeladen.
Zuhause, also im Privathaushalt, kann jeder und jede selbst Lebensmittel retten: Wir alle können unser Verhalten kritisch beobachten, und herausfinden, an welchen Stellen sich Lebensmittelmüll vermeiden lässt. Einen Anhaltspunkt bietet etwa unsere Tabelle zu den tatsächlichen Lebensmittel-Haltbarkeiten. Denn viele Lebensmittel kann man noch länger genießen als ihr Mindesthaltbarkeitsdatum vermuten lässt:
Eine kurze Haltbarkeit weisen Produkte wie Brot und Milch auf. Sie sind etwa noch zwei Tage nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) genießbar. Anders sieht es bei Hartkäse und Eiern aus. Diese sind meist auch noch nach 21 Tagen nach Ablauf des MHDs genießbar. Eine noch längere Haltbarkeit haben pflanzliche Öle und Fette. Man kann diese in der Regel auch noch nach 28 Tagen nach Ablauf des MHDs essen. Weitere Lebensmittel wie Zucker, Salz, Mehl oder Konserven kann man meist auch noch nach einem Jahr nach Ablauf des MHDs bedenkenlos verzehren. Am besten überprüft man die Lebensmittel mit allen Sinnen und schätzt ein, ob das Produkt noch genießbar ist.
Neben dieser Anregung zum Thema Mindesthaltbarkeit, haben wir noch weitere 5 Tipps gegen Lebensmittelverschwendung für dich:
Tipp 1: Die erste goldene Regel: Nie hungrig einkaufen gehen.
Tipp 2: Immer Einkaufslisten schreiben.
Tipp 3: Erstelle dir einen Wochenplan für deine täglichen Gerichte.
Tipp 4: Erkundige dich genau darüber, wie man bestimmte Lebensmittel lagern sollte, damit sie länger frisch bleiben. Auf unserer Webseite erfährst du wie du Karotten, Äpfel oder Fleisch am besten lagern solltest.
Tipp 5: Sollte doch mal ein Brot zuhause hart oder ein Apfel schrumpelig werden, wirf die Lebensmittel nicht gleich weg, sondern erkundige dich darüber, was man daraus noch kochen kann.
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