Tomaten vom Stadtrand
Die meisten österreichischen Tomaten kommen aus Wien und Umgebung. Das Wiener Becken hat jene Ebenen, auf denen die größten Glashäuser des Landes stehen. Die Transportwege zu den Zentrallagern des Lebensmitteleinzelhandels sind kurz. In Simmering, Eßling, Hainburg und im Marchfeld findet man Österreichs modernste Glashäuser. Tomatenanbau in viel kleineren Foliengewächshäusern gibt es vor allem in der Steiermark und im Burgenland. Die klimatischen Bedingungen für den Tomatenanbau sind generell im Osten Österreichs besser und im Bergland weniger gut. Eine höhere Jahresdurchschnittstemperatur und mehr Sonnenstunden erleichtern den Anbau und sparen Heizkosten.
Knapp ein Drittel jener Fläche Österreichs, die für Tomatenanbau verwendet wird, liegt im Burgenland. Weil in Wien hauptsächlich in Ganzjahreskulturen in Glashäusern angebaut wird, hat die Bundeshauptstadt die höchsten Ernteerträge. 2019 ernteten die Burgenländer 16.000 Tonnen auf 62 Hektar, die Wiener Tomatenproduzenten 20.000 Tonnen auf 48 Hektar.
Millionen-Projekte und kleine Tomatenbauern
Im Tomatenanbau unterscheidet man grob zwischen zwei Anbauformen, der Ganzjahreskultur im Glashaus und dem Anbau im Foliengewächshaus. Im Glashaus braucht man keine Erde, dafür ein Produktionssystem, das international ähnlich aussieht. “Holland-System” heißt diese Anbauform. Glashäuser sind in der Regel wesentlich größer als Foliengewächshäuser, in denen die Tomatenpflanzen in Erde wachsen. Eine tunnelförmige oder hausförmige Folienkonstruktion schützt sie vor Wetter und Kälte. Es gibt dazwischen auch Betriebe, die zwar im Glashaus anbauen, aber nicht das ganze Jahr über Tomaten kultivieren.
Entscheidet sich eine Gärtnerin oder ein Gärtner für den Bau eines Glashauses, muss er viel Geld investieren. Plant man den Bau eines modernen Gebäudes mit hohen technischen Standards, kann man schon mal 150 Euro pro Quadratmeter rechnen. Die Errichtung eines für österreichische Verhältnisse großen Glashauses mit einer Größe von über 10 Hektar oder 14 Fußballfeldern kostet somit über 15 Millionen Euro. Der Grund für die Berufswahl der Tomatenerzeuger ist oft Familientradition. Die Tomatenbäuerinnen und -bauern, die sich spezialisieren und für den Bau eines großen Glashauses entscheiden, sind üblicherweise aus Gärtnerfamilien, die vor der Spezialisierung unterschiedliche Gemüsearten angebaut haben. Die Wiener Tomatenerzeuger verstehen sich übrigens als “Gärtner”, die Steirer und Burgenländer eher als “Bauern”.
In ganz anderen Dimensionen rechnen jene Bauern, die in Foliengewächshäusern in Erde anbauen. Auch sie brauchen Belüftung und Beheizung, um zumindest je nach Witterung von Juni bis September Tomaten anbauen zu können. Dennoch sind Foliengewächshäuser viel einfacher und billiger, liefern aber weniger Erträge pro Quadratmeter, vor allem aufgrund der deutlich kürzeren Erntezeit. Jene Bäuerinnen und Bauern, die in Erde anbauen, produzieren oft mehrere landwirtschaftliche Produkte, während sich Glashaus-Produzenten auf die Tomate oder nur zwei, drei Gemüsearten spezialisieren. Die meisten Tomatenerzeuger Österreichs sind nach wie vor kleine Familienbetriebe, die schon seit mehreren Generationen Gemüsebau betreiben und nur wenige oder keine fix angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Ein Teil der Bäuerinnen und Bauern überlegt, auf Bio umzustellen oder hat schon umgestellt. Im Bio-Anbau ist erdeloser Anbau verboten. Im konventionellen Bereich ist es für Tomaten aus Foliengewächshäusern schwer, am Markt mit Tomaten mitzuhalten, die in viel größeren Glashäusern ohne Erde gewachsen sind.
Wichtig ist, egal welche Anbauform eine Produzentin oder ein Produzent gewählt hat, dass die Tomaten Abnehmerinnen finden. Besonders im Sommer, wenn Glashäuser, Foliengewächshäuser und Hobbygärtner gleichzeitig ernten, gibt es ein Überangebot am Markt. Insgesamt versorgt sich Österreich aber nur zu 18 Prozent selbst mit Tomaten. Vor allem die zunehmenden Ganzjahreskulturen ersetzen von Jänner bis Dezember importierte Frischtomaten und steigern den Selbstversorgungsgrad. Tomaten für die Verarbeitung zu Produkten wie Ketchup kommen fast ausschließlich aus dem Ausland. Das ist der Grund für den trotz sommerlicher Überproduktion von Frischtomaten niedrigen Selbstversorgungsgrad.
Zahlungen der öffentlichen Hand
Tomatenerzeuger erhalten, wie Betriebe aller landwirtschaftlichen Bereiche, so genannte Ausgleichszahlungen, egal ob Glashaus-Betreiber oder Foliengewächshaus-Bauer. Wer was und wie viel bekommt, ist unter www.transparenzdatenbank.at einsehbar. Der EU-Beitritt 1995 hat dazu geführt, dass viele Tomatenerzeugende in ein erdeloses Glashaus investiert haben, weil vor allem Investitionen vom EU-Fördersystem unterstützt werden. Jene Tomatenerzeuger, mit denen wir in Kontakt waren, haben unter anderem folgende Zahlungen erhalten:
Agrarumweltmaßnahmen | Für Bäuerinnen und Bauern, die sich zu bestimmten umweltschonenden Produktionsverfahren verpflichten. |
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Betriebsprämienregelung | Richtet sich seit 2003 nach der bewirtschafteten Fläche. Vor 2003 wurden die Zahlungen nach der Produktionsmenge berechnet. Seit 2015 gibt es einen Maximalbetrag für Betriebe mit sehr großer bewirtschafteter Fläche. Versiegelte Fläche, auf denen erdeloser Anbau betrieben wird, zählt nicht zur Berechnungsbasis. |
Teilnahme von Landwirten an Qualitätsprogrammen | Für Bäuerinnen und Bauern, die sich an bestimmten Lebensmittelqualitätsprogrammen beteiligen. |
Obwohl sich die Anbauformen im Tomatenanbau stark unterscheiden, lernen zukünftige Erzeugerinnen und Erzeuger ihr Handwerk in denselben Schulen. Die einzige Schule mit Matura ist in diesem Bereich die HBLFA Schönbrunn. Sie bindet die Schüler auch in die hauseigene Forschung ein. An der HBLFA gibt es Tomatenkulturen nur in Erde, um den Schülern über das Jahr eine Fruchtfolge mit mehreren Gemüsearten anbieten zu können. Fachschulen gibt es etwa in Langenlois und Obersiebenbrunn. Für Gärtnerinnen und Gärtner sowie Bäuerinnen und Bauern bestehen Möglichkeiten der Weiterbildung. Spezialisierte Tomatenerzeuger besichtigen Produzenten von Marokko über Spanien bis in die Niederlande, um aktuelle Trends zu erkennen.
Fast alle österreichischen Erzeugerinnen und Erzeuger vertreiben ihre Tomaten über so genannte Erzeugerorganisationen. Diese bündeln landwirtschaftliche Produkte und verkaufen sie gesammelt weiter. So entstehen Synergieeffekte in der Vermarktung und die Tomatenerzeuger sparen sich organisatorischen Aufwand, etwa beim Einkauf von Verpackung und bei der AMA-Gütesiegel-Zertifizierung. Nur einige der größten Glashäuser verkaufen direkt an den Lebensmitteleinzelhandel. In Österreich gibt es Erzeugerorganisationen in Niederösterreich und Wien, im Burgenland und in der Steiermark.
Forschung in Österreich an Sorten und Low-Input-Produktion
Obwohl die Züchtung für den Tomatenanbau fast ausschließlich im Ausland erfolgt, forschen Einrichtungen in Österreich an speziellen Themen. Die Versuchsstation für Spezialkulturen Wies des Landes Steiermark legt den Schwerpunkt auf Versuchen mit Sorten. Das Team rund um Leiterin Doris Lengauer testet in- und ausländische Neuzüchtungen auf Ertrag, Geschmack, Resistenz und Toleranz gegenüber Schädlingen unter den Klima- und Bodenverhältnissen in der Steiermark.
Am Lehr- und Forschungszentrum Schönbrunn liegt der Forschungsschwerpunkt auf einer ressourcenschonenden Produktion. Wolfgang Palme und sein Team forschen, wie man Tomaten mit weniger Energieeinsatz erzeugen kann. Palme erklärt, die Ergebnisse der Forschung sollen jenen konventionellen und Bio-Betrieben helfen, die in Erde und weniger intensiv anbauen. Solche Betriebe seien im Vergleich zum erdelosen Anbau im Glashaus aus rein ökonomischer Sicht kaum mehr wettbewerbsfähig, es sei denn im Bio-Anbau als ökologischere Alternative, verbunden mit entsprechenden Marketing-Konzepten und vermehrter Direktvermarktung. Die Forschung am LFZ Schönbrunn biete “diesen ganz einfachen Betrieben eine Produktionschance, die meiner Meinung nach sehr wohl zukunftsfähig ist”, so Palme.
Dreistufiges AMA-Kontrollsystem
Auch das AMA-Gütesiegel ist für heimische Produzentinnen und Produzenten von großer Bedeutung. Die AMA-Marketing hat ein dreistufiges Kontrollsystem. Es beginnt mit der Eigenkontrolle. Die Landwirtin oder der Landwirt muss verschiedene Bereiche auf seinem Betrieb selbst kontrollieren und protokollieren. Dazu gibt es AMA-G.A.P.-Vorlagen.
Die zweite Stufe umfasst die externen Kontrollen. Eine externe, unabhängige und akkreditierte Kontrollstelle überprüft den Betrieb im Auftrag des Landwirten. Sie nehmen zum Beispiel Blattproben und analysieren im Labor, ob nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel darauf vorhanden sind.
Die dritte Stufe ist quasi eine Kontrolle der Kontrolle. AMA-G.A.P.-Zertifizierungsstellen überprüfen die Kontrollstellen. Das dreistufige Kontrollsystem wird in ähnlicher Form bei Packstellen, Handelsunternehmen und Direktvermarktern durchgeführt. Genia Hauer, Bereichsleiterin des Qualitätsmanagements im Bereich Obst, Gemüse und Speiseerdäpfel bei der AMA-Marketing, betont, dass beim AMA-Gütesiegel die ganze Produktionskette kontrolliert wird. “Es gibt vom Landwirten bis zum Verteilerzentrum des Lebensmitteleinzelhandels durchgehende Anforderungen und dementsprechende Kontrollen”, so Hauer.
Die AMA-Marketing hat die landwirtschaftliche Richtlinie AMA-G.A.P. im Rahmen des internationalen Standards GlobalG.A.P. anerkennen lassen. GlobalG.A.P. ist ein privates und weltweit angewendetes Qualitätssicherungs- und Zertifizierungssystem. Tomatenerzeuger müssen GlobalG.A.P.-zertifiziert sein, wenn sie zum Beispiel an den Lebensmitteleinzelhandel liefern wollen. Es gilt als Mindestvoraussetzung unter Handelspartnern.