Österreich als Roggennation
Österreich ist als Roggennation bekannt – doch das liegt nicht etwa daran, dass hierzulande vor allem Roggenbrot produziert wird. Der Roggenanteil bei Brot liegt heute etwa bei 12 Prozent, doch ist dieser Prozentsatz noch immer einer der höchsten weltweit. Historisch betrachtet spielte der Roggen allerdings auch schon eine wesentlich größere Rolle. Roggen war in vielen Gegenden – vor allem im Osten Österreichs – das Getreide schlechthin. Mittlerweile ist der Roggenanbau in Österreich rückläufig.
In den Nachkriegsjahren lag der Weizenpreis in Österreich exorbitant über dem in Deutschland, erklärt Peter Augendopler, Eigentümer von backaldrin, im Videointerview die historisch bedingte Sonderstellung des Roggens in der heimischen Brotkultur. Der hohe Weizenpreis wurde de facto von einem staatlich gelenkten Mühlenkartell diktiert und stützte den in Relation dazu wesentlich niedrigeren Roggenpreis. Roggen galt also als das Brotgetreide der ärmeren Schichten. Diese Preissituation auf dem Rohstoffsektor in Verbindung mit einem sehr niedrigen, amtlich geregelten Brotpreis führte über lange Jahre zu einer Roggenlastigkeit im Mischbrot. Erst die Abschaffung der amtlichen Preisbindung nach einem Musterprozess eines Bäckers, den dieser gegen die Republik Österreich angestrengt und gewonnen hatte, “befreite” die Bäckereien von der ökonomisch bedingten Roggenlastigkeit und führte in weiterer Folge zu einem steigenden Anteil des teureren Weizens in den Mischbroten, was dem allgemeinen Geschmack offenbar mehr entgegen kam.
Regionale Unterschiede bei Brot
Alle Experten, die wir vor der Kamera darauf angesprochen haben, waren sich einig, dass die Vielfalt an Brot und Gebäck in Österreich und Deutschland - und vielleicht noch in der Schweiz – unerreicht groß sei im weltweiten Vergleich. Ob diese Vielfalt sich auch in ihrer althergebrachten regionalen Ausprägung wiederfindet, darüber gingen die Ansichten aber ein wenig auseinander.
Peter Storfer, den wir in der von ihm geführten Bäckerei “Knusperstube” in Kärnten dazu befragten, meinte „das Besondere am Brot und Gebäck in Österreich ist meiner Meinung nach, die Regionalität.“ So gebe es in jeder Region, in jedem Tal anderes Brot, andere Rezepturen. Diese regionalen Vorlieben und Besonderheiten hätten sich heute hingegen laut Peter Augendopler, Eigentümer der international agierenden Branchengröße backaldrin, durch die Veränderung der Bäckereilandschaft gewandelt. Heute backen Bäckereien also vielfältiger und bedienen damit nicht nur den Geschmack einer speziellen Region, sondern zum Beispiel auch jenen von Touristinnen und Touristen. Bäckereien am Boden- und am Neusiedlersee bieten somit annähernd die gleiche und gleich große Vielfalt an Brot und Gebäck. Großbäckereien mit überregionalen Filialsystemen täten das ihre, um diese Vereinheitlichung des landesweiten Angebotes zu verstärken. Vielleicht gebe es tendenziell im Westen in Tirol sowie Kärnten noch einen etwas stärkeren Zuspruch zu Roggenmischbroten, während im Burgenland der landesweite Überhang an Weizenbroten am stärksten ausgeprägt sei, so Peter Augendopler. Aber diese Unterschiede seien nicht mehr das, was sie einmal waren.
Sprachliche Vielfalt bei Brot und Gebäck
Heißt es Mohnflesserl oder Mohnstriezerl? Nun, das kommt bei Brot aus Österreich ganz auf die Region drauf an. Und so verhält es sich auch bei einigen anderen Backwaren, die im deutschen Sprachraum je nach geografischer Lage einfach ihre Bezeichnung verändern. Beim Mohnflesserl kann es zum Beispiel schon mal zu Verwirrungen kommen, wenn jemand dieses als Mohnstriezerl oder gar als Mohnweckerl bezeichnet. Genau genommen, unterscheiden sich Mohnstriezerl von Mohnlflesserl in der Anzahl der verflochtenen Stränge, doch werden die beiden Begriffe im Alltag auch synonym verwendet. Während das Mohnflesser mit einem Strang geflochen wird, sind es beim Stritzel drei.
Ursprünglich, im späten 19. Jahrhundert, war die Sache noch einfacher: Das mit Salz und Mohn bestreute Gebäck wurde in Oberösterreich erfunden, wo es aufgrund seiner Form, die an ein Floß erinnert, „Linzer Salzflesserl“ genannt wurde. Die Bezeichnung geht also auf die Salztradition dieser Region zurück.
Auch bei süßen Backwaren wie Topfentaschen scheiden sich die Geister, wenn es um die Bezeichnung geht. Ist es nun ein Topfentascherl oder eine Topfengolatsche? Ursprünglich nannte man das feine Gebäck in Österreich Golatsche, was sich aus dem tschechischen Wort koláč, „Kuchen“, ableitete. Eine Golatsche bezeichnete also so etwas wie einen gefüllten Kuchen. Da in Österreich, im Gegensatz zur polnischen und tschechischen Version, die Topfengolatsche geschlossen wird, fing man an, das süße Gebäck auch als Topfentascherl zu bezeichnen.
Außerdem kann es über die österreichischen Grenzen hinweg bei der Verwendung von verschiedenen Brot- und Gebäcknamen zu Missverständnissen kommen: So bezeichnen die deutschen Nachbarn, all das, was hierzulande gemeinhin „Weckerl“ genannt wird, als Brötchen. In Berlin werden bestimmte ovale eingekerbte Weißbrötchen zudem als Schrippe bezeichnet, was das Ganze noch etwas komplizierter macht. Auch beim Bestellen eines Krapfens ist Vorsicht geboten. Während ein großer Teil Deutschlands den Krapfen „Berliner“ nennt, nennt der Berliner den „Krapfen“ Pfannkuchen.
War Brot früher besser?
„Brot war früher besser“, meinen so manche mit verbittertem Blick beim Biss in die aufgeblasene Semmel. Doch hat sich Gebäck und Brot aus Österreich tatsächlich so stark verändert und wenn ja, sind die Veränderungen nur negativ oder kann man dem heutigen Brot doch auch positive Aspekte abgewinnen?
Viele verbinden mit dem Brot oder dem Gebäck „von Früher“ Kindheitserinnerungen und schwelgen in nostalgischen Vorstellungen von Bäckermeistern, die man noch persönlich hinter der Theke antraf – und wenn schon nicht in Erinnerungen, dann in romantischen Vorstellungen dieser bestimmten „früheren Zeit“. Neben diesen emotionalen Aspekten, gibt es aber auch handfeste Argumente, die darauf hinweisen, dass Brot und Gebäck sich tatsächlich verändert haben.
Roggen hat sich beispielsweise durch Züchtung verändert. Früher ist Roggen oft „ausgewachsen“, was heute in der Regel nicht mehr passiert. Das „Auswachsen“ hatte den Effekt, dass der Roggen sehr enzymaktiv war. Dies brachte verschiedene Vorteile mit sich: Die Krume war feuchter, der Geschmack intensiver und das Brot war länger haltbar. Aus diesem Grund verwenden viele Bäckereien heute mehr Malzmehl, um die fehlenden Enzyme auszugleichen. Generell sind Mehle heutzutage etwas trockenbackender. Das bedeutet, kurz gesagt, dass die Krume etwas trockener ausfällt.
Eine weitere Veränderung lässt sich in der Verwendung von Sauerteig erkennen. Sauerteig aus Roggenmehl anzumischen war früher weit verbreiteter als heute. Bäckereien haben nämlich andere Möglichkeiten gefunden, um ihre Teige zu säuern und verwenden zum Teil sogenannte Säuerungsmittel, um Zeit zu sparen. Zu sagen, dass kein Sauerteig mehr verwendet wird und das Brot daher schlechter sei, ist jedoch falsch: Sauerteig erlebt gerade heute wieder eine Renaissance und kehrt immer mehr in unser Gebäck und Brot aus Österreich zurück.
Ein weiterer Grund für die veränderte Wahrnehmung von Brot und Gebäck könnte mit der Brotgröße zusammenhängen. Heute werden kleinere Brotlaibe als früher gebacken. Damals konnte es schon vorkommen, dass ein Brotlaib etwa fünf Kilogramm auf die Waage brachte, heute wiegt ein typisches Brot etwa ein Kilogramm. Bei großen Broten verändert sich der Backprozess. Die Hitze dringt nur langsam bis zum Kern vor und die Enzyme im Teig haben mehr Zeit, um die Stärke zu Zuckerstoffen abzubauen. Kleinere Brote werden hingegen wesentlich schneller von der Hitze durchdrungen, was auf Kosten des Geschmacks und der Saftigkeit gehen kann.
Warum viele Menschen den Geschmack des Brotes „von damals“ nicht mehr in den neuen Backwaren erkennen, kann auch mit der Sortiment-Vielfalt zusammenhängen. Heute gibt es viele Brote und Gebäcke, die es damals schlicht und einfach noch nicht gab und die daher für manche Menschen ungewohnt schmecken.
Was sich heute zum Positiven verändert hat, ist in jedem Fall der Aspekt der Lebensmittelsicherheit. Heute werden Produkte wesentlich strenger kontrolliert als früher und müssen auch besser gekennzeichnet werden. Das sorgt für Transparenz und Sicherheit.
Auch die Vielfalt an Brot und Gebäck hat sich zum Positiven verändert. Heutzutage gibt es viele Bäckereien, die über 100 Sorten an Brot und Gebäck anbieten und so den Geschmack zahlreicher unterschiedlicher Geschmäcker treffen. Zudem war Brot in früheren Zeiten oft engporiger und somit schwerer zu kauen.
Insgesamt kann man also sagen, dass es Gründe dafür gibt, warum Menschen das „gute alte Brot“ von früher in den Himmel loben, doch gibt es gleichzeitig auch triftige Gründe, die Veränderungen des Brot und Gebäcks von heute positiv zu betrachten. In jedem Fall muss immer das individuelle Produkt betrachtet werden. Jede Bäckerei bäckt ein bisschen anders und verfolgt unterschiedliche Philosophien.
Der Beruf des Bäckers kam um das achte Jahrhundert auf. Bäcker waren damals jedoch keine stolzen Meister, sondern eher arme Männer, die harte Fronarbeit verrichten mussten. Erst um das Jahr 1.000, als immer mehr Menschen in die Städte zogen, etablierte sich das Bäckersein als freier Berufsstand und es brauchte Spezialisten, um genügend Brot für die Menschen herzustellen. Damals bedeutete das 500 Gramm pro Einwohner und pro Tag (heute ist die Menge auf weniger als 200 Gramm gesunken). Bäcker waren im Mittelalter also dringend benötigt und der Beruf war angesehen und begehrt.
Im zwölften Jahrhundert kamen erste Bäckerzünfte auf, die über die Qualitätssicherung und auch den Marktzugang wachten. Brotbacken durfte fortan nur der, der Mitglied der Zunft war. Das Bäckereihandwerk wurde zum lukrativen Geschäft, wenn es auch mit harter Arbeit verbunden war. Immerhin musste der Teig damals noch nachts von Hand geknetet werden.
Bis zum 19. Jahrhundert hielt sich die Zunft. Gemeinsam mit der Aufklärung wurde sie aber dann schließlich abgeschafft. Übrig bleibt allein das Zeichen der Bäckerzunft, das in Schildern und Firmenzeichen von Bäckereien überlebt: die Brezel. Warum gerade sie für die Bäckereien steht, hat – laut einer Erzählung - einen einfachen Grund: die Brezel ist das Brot gewordene Symbol betender Arme.
Sind kleine Bäckereien besser als große?
„Qualität hat nichts mit Größe zu tun.” Dieses Statement hörten wir während unserer Filminterviews in leichter Variation wiederholt. Und dazu noch die Bemerkung, dass Größe ein sehr relativer Begriff sei. In Österreich gibt es laut Josef Schrott, dem Innungsmeister der gewerblichen Bäcker Österreichs, nur drei Bäckereien, die nicht dem Gewerbe, sondern aufgrund ihrer Größe der Industrie zugeordnet sind. Ob gutes oder weniger gutes Brot und Gebäck die heimischen Backstuben verlassen, hänge aber nicht in erster Linie von deren Größe ab. Kleine und große Bäckereien haben ihre Vor- und Nachteile:
Was den Einsatz von Backmitteln betrifft, nehmen viele an, dass kleine Bäckereien „noch natürlich“ und „traditionell“ backen, während das Brot von großen Bäckereien voll von Zusatzstoffen ist. Diese Annahme ist nicht umlegbar auf die Realität. Fakt ist, dass der Backmittelmarkt allgemein floriert und auch kleine Bäckereien sie einsetzen. In unseren Interviews erfahren wir, dass dies besonders stark der Fall sei, wenn es darum ginge mit einer kleinen Bäckerei zu überleben und gleichzeitig noch ein Privatleben zu haben. Hier müsse auf Ziel und Zeit gearbeitet werden. Andere Bäckereien setzen wiederum nur auf die Grundzutaten von Brot und Gebäck sowie auf eine lange Teigführung. Dies ist wesentlich aufwändiger und bedarf einer guten Kommunikation an die Kundinnen und Kunden, damit das Brot oder Gebäck auch zu einem angemessenen Preis verkauft werden kann.
Am besten ist es also, das Brot nicht danach zu beurteilen, ob es aus einer großen oder kleinen Bäckerei kommt, sondern anhand des Geschmacks und der Qualität der verwendeten Zutaten.
Der Wiener Kaisersemmel auf der Spur
Sicher ist, dass die Semmel aus Österreich kommt. Wer sie erfunden hat, wie sie zu ihrem Namen kam und ob sie überhaupt etwas mit dem Kaisertum zu tun hat, ist jedoch nicht eindeutig nachgewiesen.
Einer Erzählung zufolge soll ein Wiener Bäcker namens Kayser um 1750 die Kaysersemmel erfunden haben. Er soll bemerkt haben, dass sich der Geschmack vor allem in der Kruste bildet und fing demnach an, sein Gebäck mit Einkerbungen zu versehen. So wollte er den Anteil an Kruste erhöhen. Später wurden Preis und Gewicht der Semmel in einer Satzung geregelt. Die Bäckerinnung wollte diese aufheben, da sie aufgrund der Preisbindung kaum Gewinne machen konnten. Sie wollten den Preis also selbst bestimmen und stellten diese Forderung dem Kaiser Franz Joseph II (1741–1790) vor. Dieser soll so begeistert von der Arbeit der Bäcker gewesen sein, dass er der Bäckerinnung ihren Willen ließ. Ob vielleicht doch daher der Begriff „Kaisersemmel“ kommt?
Anderen Erzählungen zufolge wurde vor allem im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verschiedenste Speisen und Getränke der Zusatz „Kaiser“ beigefügt. Dieser Zusatz bedeutete so etwas wie „das Beste seiner Art“. Möglich wäre aber auch, dass sich das „Kaiser“ der Kaisersemmel vom italienischen „a la casa“ ableitet, was so viel wie „nach Art des Hauses“ bedeutet. Diese These wird heute von vielen Bäckerinnen und Bäckern vertreten und als die plausibelste verstanden.
Woher der Name aber genau kommt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Auf jeden Fall wurde die Semmel im 20. Jahrhundert zum richtigen Festtagsschmaus. Nur zu speziellen Feiern tischte man die gelbgebackenen Weckerln auf und überreichte sie sogar als Belohnung oder Geschenk. Was heute absurd klingen mag, war damals also eine noble Geste.