Billige Semmel
Österreich kann mit Fug und Recht als Semmelhochburg bezeichnet werden. Die Kaisersemmel ist das mit Abstand meist konsumierte Gebäck. Die Handsemmel sei laut Bäckermeister Erwin Heftberger sogar die Königsdisziplin des Bäckers und ein weltweites Unikum. Bei internationalen Wettbewerben kenne keiner die Handsemmel. Der Preis für Semmeln variiert indes stark. Josef Schrott, der Innungsmeister der österreichischen Bäcker bringt diesen Umstand pointiert auf den Punkt, wenn er bedauert, „dass es heute leider keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Semmelpreis und der Semmelqualität gibt. Man kann um viel Geld minderwertige Ware kaufen und umgekehrt.” Ein durchschnittlicher Preis für eine Semmel in einer Backstube des Einzelhandels liegt bei 23 Cent. Stefan Huemer, Geschäftsführer von Fischer Brot bezeichnet diesen geringen Preis als „nicht ganz nachvollziehbar und unter dem Wert des Produktes. Die Semmel ist ein High-Tech-Produkt. Gebäcke mit Körnern und Saaten sind im Vergleich dagegen meistens überbezahlt. Die Herstellung einer Semmel für den Handel ist nur bei großen Mengen kostendeckend.” Diese großen Mengen können nur Großbäckereien für den Lebensmitteleinzelhandel produzieren. Die kostenbestimmenden Faktoren sind dabei nicht die Rohstoffpreise, sondern die Personalkosten. Diese liegen beim klassischen Bäcker vor Ort deutlich höher, weshalb dieser die Semmel im Endpreis entsprechend teurer ansetzen muss.
Phänomen Bäckersterben
„Damals nach dem Ende des letzten Weltkrieges war Brot DAS Lebensmittel - heute ist es ein Genussmittel” sagt Michael Bruckner, Geschäftsführer der Marken-Bäcker Ges.m.b.H im Filminterview. Der Bäcker war über Jahrzehnte der Versorger der Bevölkerung mit dem Grundnahrungsmittel schlechthin. Die Versorgungsstruktur war engmaschig über das ganze Bundesgebiet. Viele Bäckereien boten damals einen Lieferservice meist via Kleinbusse für entlegenere Gegenden an, mit einem genau kalkulierten, nach heutigen Maßstäben sehr überschaubaren Angebot zu genau festgesetzten Zeiten in der Woche. Dies hat sich heute grundlegend verändert.
Mit dem Einstieg der großen Lebensmittelketten in das Brotgeschäft hat sich die über Jahrzehnte schleichende Konzentration im Bäckereigewerbe in ein galoppierendes “Bäckersterben” in den letzten beiden Jahrzehnten verwandelt. Möglich gemacht haben diesen umfassenden Strukturwandel in der Versorgung mit Brot und Gebäck technische Neuerungen im Backprozess, das Arbeiten mit vorgefertigten Teiglingen, die von Angestellten der Lebensmittelketten in den Filialen nur noch aufgebacken werden müssen. Es sind also vor allem die industriellen Großbäckereien, die davon profitieren, wenn mittlerweile 84,9 Prozent des Brots und Gebäcks über den Supermarkt verkauft werden. Gewerbliche Bäcker mit oder ohne Filialsystem beliefern zwar auch die Supermärkte, müssen nebenher aber noch mit zusätzlichen Angeboten, etwa einem Café oder kleinem Ausschank und mit innovativen Produkten, aufwarten, um sich am Markt behaupten zu können. So können sie die höheren Preise ihrer Brote und Backwaren rechtfertigen, die in erster Linie ihren höheren Personalkosten geschuldet sind. Allein im Zeitraum 2005 bis 2021 haben 479 Backstuben geschlossen, weiß Michael Bruckner. Die verbliebenen 1.441 Betriebe mit aktiver Gewerbeberechtigung beschäftigen aber annähernd gleich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie die ehemals 1.920. Der Begriff Bäckersterben ist also nur relativ zur Anzahl der Bäckereien zutreffend. Allerdings wird das Bäckergewerbe von starken Nachwuchssorgen geplagt. Die Zahl der Lehrlinge hat sich im besagten Zeitraum halbiert, bedauert Bruckner. Vor allem die Arbeitszeiten in den Backstuben wären mit den heutigen Ansprüchen vieler Jugendliche an ihre Work-Life-Balance schwer vereinbar. Denn eine gewöhnliche fünf-Tage-Woche von Montag bis Freitag gibt es nicht. Oft muss anstatt eines Wochentages ein Samstags- oder Sonntagsdienst eingelegt werden.
Brotpreis in Österreich
„Den“ Brotpreis gibt es in Österreich nicht. Einerseits gibt es Brote, die pro Kilogramm nicht viel mehr als einen Euro kosten, andererseits kann man für einige Brote auch schon mal mehr als 10 Euro ausgeben. Im EU-Vergleich liegt Österreich mit seinen Brotpreisen jedenfalls im Spitzenfeld. Brot und Getreideerzeugnisse liegen mit 113 Prozent über dem EU-Durchschnitt, welcher auf 100 Prozent festgesetzt wurde. Zum Vergleich: In Rumänien liegt das Preisniveau bei rund 60 Prozent und kostet damit mehr als die Hälfte weniger als das Brot aus Österreich.
Michael Bruckner, Geschäftsführer der Marken-Bäcker Ges.m.b.H, erzählt über die Preisentwicklung von Brot und Gebäck in der österreichischen Geschichte: „Früher wurden die Preise paritätischen Kommission geregelt. Die Grundlinie war, dass Roggen immer billig bleiben muss, weil es das Volksnahrungsmittel war. Weißbrot oder Weißgebäck war etwas für die, die es sich leisten können. Feinbackwaren waren nie preisgeregelt, hier konnte der Bäcker verrechnen was er wollte. Weil die Bäcker beim Brot relativ wenig verdient haben, haben sie sich also ihre Verdienste über die Feinbackwaren geholt.“ Auch heute ist dieses Phänomen noch zu beobachten. Feinbackwaren sind – etwa im Vergleich zu Deutschland – im Schnitt viel teurer als Brot und Gebäck. Auch was Brot betrifft, hat die Preisregelung aus der Geschichte Spuren hinterlassen: Weißbrot kostet in der Regel nach wie vor mehr als Schwarzbrot, obwohl die Rohstoffkosten ungefähr gleich sind.