Tierwohl: der rechnende Blick der Ökonomie
Im Begriff Landwirtschaft steckt der Begriff Wirtschaft. Die Betriebe werden weniger und größer und sehen sich mit der Situation konfrontiert, dass die Preise auf dem Weltmarkt traditionell starken Schwankungen ausgesetzt sind. Diese machen aufgrund ihrer relativen Unvorhersagbarkeit Investitionen im großen Stil schwierig. Dies sei kurz an einem Beispiel demonstriert: Ein neuer moderner Stall ist in fünf Jahren nicht mehr auf dem neuesten Stand. Der Landwirt muss jedoch mindestens noch 20 Jahre warten, bis der „neue“ Stall abgezahlt ist. Auch gesellschaftliche Erwartungen und politische Reaktionen darauf, etwa in Form von Tierschutzrichtlinien, ändern sich. Der Bauer und die ganze Kette der Produktion können hier oft notgedrungen nur hinterherhinken. Neue Erkenntnisse und neue Forschungsergebnisse bezüglich Tierwohl, werden laufend generiert. Auch wenn also ein sehr umfangreiches Wissen in Bezug auf das Tierwohl gegeben ist, stellt sich die Frage nach der Umsetzbarkeit und damit letztlich die nach der Finanzierung. Nur eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung kann den Spagat zwischen ökonomisch vertretbaren “Zusatzleistungen” der Branche und dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierwohl leisten.
> Tierwohl: der fragende Blick der Ethik
> Tierwohl: der entfremdete Blick des Konsumenten
Das Schwein als global gehandelte Ware
Wie alle anderen Wirtschaftsbereiche erfolgt auch die Schweinehaltung nach ökonomischen Grundsätzen. Die Bauern müssen sich wie auch die Schlachtbetriebe im internationalen Wettbewerb erfolgreich behaupten. Oft konkurrieren sie dabei mit Ländern, in denen deutlich günstiger produziert werden kann. Die Grundvoraussetzung für ihren wirtschaftlichen Erfolg sind gesunde und leistungsstarke Schweine, die hochwertige Lebensmittel liefern. Die Verbraucher fordern höchste Maßstäbe für die Lebensmittelsicherheit, -qualität und -vielfalt, bei gleichzeitiger Umweltschonung, hohen Tierschutzstandards und niedrigen Verbraucherpreisen. Dies kann laut dem Tierethiker Dürnberger zu Zielkonflikten innerhalb der Branche führen.
> BLOG: "Und gib uns unser täglich Fleisch..." Teil 2
Am besten veranschaulicht dieses “Dilemma” der Umstand, dass etwa die Hälfte eines jeden produzierten Schweins exportiert wird. Jene Hälfte, die im Land bleibt, wandert hauptsächlich als Frischfleisch in den Lebensmitteleinzelhandel. Die andere Hälfte aber verteilt sich rund um den Globus. So gehen beispielsweise besonders fette Teilstücke, die in Österreich wenig nachgefragt werden, häufig in den asiatischen Raum. Hier sind die Anforderungen der Großeinkäufer an die Produktion nicht unbedingt deckungsgleich mit jenen des heimischen Handels bzw. Konsumenten. Ähnliches gilt für Italien, dem anteilsmäßig bedeutendsten Importeur von österreichischem Schweinefleisch. Diese Märkte und seine Konsumenten sind etwa für das Thema Tierwohl wesentlich weniger sensibilisiert. Dazu kommt, dass große Erzeugerländer wie Brasilien mit deutlich geringeren Auflagen am selben Markt mit österreichischem Schweinefleisch konkurrieren. Einerseits soll also Schweinefleisch über die gesamte Produktionskette effizient und kostengünstig produziert werden, um am internationalen Markt zu bestehen, andererseits soll auch der heimische Kunde in seinen höheren Ansprüchen zufrieden gestellt werden.
Dilemma zwischen Gentechnikfrei und Konkurrenzfähig
Der Preis für gentechnisch verändertes Soja liegt bei mehreren hundert Euro pro Tonne und ist starken Schwankungen unterworfen - gentechnikfreies Soja kostet deutlich mehr. Dieser Preisunterschied wirkt sich gezwungenermaßen auf den Preis von allen Produkten aus, die aus dem Schwein gewonnen werden. Die vielen Teile des heimischen Schweins werden weltweit vermarktet, auf Märkten, wo Gentechnikfreiheit keine Rolle spielt. Selbst gentechnikfreie Edelteile an österreichische Konsumenten zu verkaufen, ist eine Herausforderung, wie wir in Gesprächen mit Erzeugerorganisationen erfahren haben. Verarbeiter und Handelsketten hätten versucht, gentechnikfreies Fleisch im Regal neben herkömmlich produziertem zu verkaufen, und seien gescheitert. Die Konsumenten seien nicht bereit gewesen, allein für Gentechnikfreiheit 50 Cent pro Kilo mehr zu zahlen.
Weltweit bekommen konventionelle Mastschweine in aller Regel gentechnisch verändertes Soja, selbst im Gentechnikfrei-Musterland Österreich. Auch wenn einzelne Verarbeiter nur mehr Fleisch aus gentechnikfreier Fütterung kaufen, der Großteil der konventionellen Schweine in Österreich wird nach wie vor mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert. Eine Branchenlösung wie in der Milch-, Eier-, und Geflügelbranche gibt es nicht. Auch das AMA-Gütesiegel schreibt bei Schweinefleisch keine gentechnikfreie Fütterung vor. Gentechnik in der Fütterung muss für den Konsumenten nicht auf der Verpackung des Tierproduktes ersichtlich sein. Nur Bio und Produkte mit dem grün-weißen Siegel der ARGE Gentechnik-frei werden garantiert ohne gentechnisch verändertes Soja hergestellt. Bei aller Diskussion um Gentechnikfreiheit ist zu beachten, dass Soja ein wichtiger Futterbestandteil ist, aber nicht mehr als 18 bis 20 Prozent des Futters ausmacht. Der Großteil des Futters kommt aus gentechnikfreiem Anbau rund um den Bauernhof.
Billigproduktion in Ländern wie Deutschland und Niederlande
Die Produktionskosten in den vergleichsweise viel größeren Schweinemastbetrieben der genannten Länder, häufig verbunden mit wesentlich niedrigeren Verarbeitungskosten in den ebenfalls immer größer werdenden Schlachthöfen, gestatten es der ausländischen Konkurrenz billiger zu produzieren. Dabei wird seit Jahren hitzig debattiert über „Ausnahme-Arbeitsbedingungen“, wie sie Subunternehmer von großen (deutschen) Schlachthöfen ihren überwiegend ausländischen Arbeitnehmern „anbieten“. Hier schlachten häufig ungelernte Billiglohnarbeiter aus Polen, der Ukraine und anderen Staaten des ehemaligen Ostens im Akkord ohne kollektivvertragliche und damit verbundene sozialrechtliche Absicherung.
In den beiden großen österreichischen Schlachtbetrieben, die uns für unsere Videodrehs ihre Pforten öffneten, waren hingegen ausnahmslos fix angestellte ausgebildete Metzger beschäftigt.
Während einzelne heimische Verarbeiter teilweise auf billigeres Schwein aus dem Ausland zurückgreifen, konnten sich viele österreichische Schweinemäster und Schlachtbetriebe kleineren und mittleren Maßstabs in den letzten Jahren in dieser Niedrigpreisspirale nicht länger halten und sperrten zu.