Wir treiben keine Sau durchs Dorf – wir zeigen das Schwein…
08.11.2017 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
… und zwar so, wie es heute in Österreich gezüchtet, geboren, gemästet und geschlachtet wird. Das hat es in dieser Form noch nie gegeben. Das ist neu und das war ein schönes Stück Arbeit, das kannst du mir glauben.
Es geht uns eben nicht darum „eine neue Sau durchs Dorf zu treiben“, soll heißen Eindruck und Aufmerksamkeit zu schinden, Skandal zu machen, indem wir einzelne Bildausschnitte aus diesen komplexen Zusammenhängen herausnehmen, scharf darauf fokussieren und dann sagen: Schaut euch das an, so werden heute Schweine gequält, was für eine Schande! Wir wollen vielmehr das Gesamtbild in seiner Komplexität und teilweise auch (scheinbaren) Widersprüchlichkeit zeigen. Warum ich das so betone? Nun, weil wir damit den üblichen Weg verlassen. Dieser Weg ist aber nicht nur üblich sondern übel, wie ich finde.
Beispiel: Kastration(s)komplex beim Schwein
Nehmen wir nur den Umstand, dass in Österreich wie (fast) überall auf der Welt, wo Schweine produziert werden, männliche Ferkel betäubungslos kastriert werden. In Österreich wird seit Oktober 2017 verpflichtend ein Schmerzmittel verabreicht, das aber den Operationsschmerz nicht ausschaltet. Wenn ich nur dieses isolierte Faktum der betäubungslosen Kastration herausnehme, wenn ich dazu Bilder zeige, was mache ich dann? Ich emotionalisiere stark, wo ich besser aufklären sollte. Ich leite daraus Maximalforderungen ab, anstatt konstruktive Lösungsansätze zu formulieren. Ich erreiche dadurch für die vielen Schweine wenig, für die wenigen aber, die sich dann in ihrer Totalablehnung besser fühlen können, vielleicht viel.
Verteidige ich also die betäubungslose Kastration? Nichts liegt mir ferner. Ich war dabei, wie ein mir überaus sympathischer Ferkelerzeuger das Skalpell angesetzt hat und mit zwei schnellen Schnitten zuerst die Haut und dann den Samenstrang durchtrennt hat. Kein schönes Bild, kein schöner Ton, das Schreien der gerade einmal einen Tag alten Ferkel, die die Frau des Bauern während dieser Operation ihrem Mann hinhält. Ich finde, dieser Umstand gehört geändert, ich weiß aber, dass die Sache so einfach nicht ist, wie sie einem Laien auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Gegenteil ist die Sache sogar hochkomplex und vertrackt, was sich unter anderem darin zeigt, dass auch Bio in aller Regel betäubungslos kastriert.
Wir zeigen also die Kastration in unseren Videos, wir gehen in unserem Textteil ausführlich auf sie ein. Wir erklären zunächst mal, warum sie vorgenommen wird, wir holen durchaus kritische Stimmen dazu ein und wir zeigen auch die möglichen Alternativen und warum diese im großen Stil noch nicht das Ei des Kolumbus sind. Das würde ich als Basis ansehen, hier auch nur erst einmal mitreden zu können, als Ausganspunkt für eine dann vielleicht mögliche zielführende Diskussion rund um dieses Thema. Freilich: eine Petition zum Verbot dieser Praxis ist leichter unterschrieben. Wenn ich mit dem Finger auf die „tierquälenden“ Bauern zeige, dann bin ich doch aus dem Schneider und kann mir mein Karree zum Aktionspreis von 4,99 das Kilo weiterhin schmecken lassen.
Ich weiß, es gibt auch Vegetarier und Veganer, die es genau aus diesem Grund geworden sind. Die große Masse der Konsumenten freilich bleibt dem Schweinefleisch und den mit ihm verbundenen Gaumenfreuden treu. Der Konsum in Österreich ist nur minimal rückläufig. Man mag also aus Empathie für das Schwein - und andere Nutztiere - von einer vegetarischen Welt, gar einer veganen träumen, das wird weder den heimischen Schweinefleischliebhaber bekehren und schon gar nicht Menschen in Asien, wo der Schweinefleischkonsum mächtige Zuwächse erfährt und wohin heute schon gar nicht so wenig heimisches Fleisch exportiert wird.
Unsere Grafik veranschaulicht den "globalen Charakter" des Schlachtschweines
Die Produktion von Schweinefleisch, wie sie heute zumeist hinter verschlossenen Stalltüren und Schlachthoftoren stattfindet, ist also auch im kleinen Österreich längst in globale Zusammenhänge und Märkte eingebunden und nicht ohne diese zu denken. Das ist nun mal so und wird sich nicht so schnell ändern. Österreich ist Teil der EU und damit am Weltmarkt, gegen den es sich nicht abschotten kann. Der heimische Markt ist wichtig für die Branche, aber eben nicht der einzige, den es zu bedienen gilt.
Grob gesagt, geht etwa die halbe Sau in den Export. Von den vielen Schlachtteilen eines Schweines bräuchte der Inlandsmarkt gerade einmal drei, dann könnte die ganze Sau in Österreich vermarktet werden. Viele andere Teile aber werden in Österreich wenig nachgefragt, weil sie zu fett oder aus anderen Gründen nicht mehr trendy sind. Diese werden dafür sehr wohl in weiten Teilen Asiens geschätzt. Die Märkte dort und ihre Konsumenten sind aber beispielsweise gar nicht für sogenannte Tierwohlaspekte sensibilisiert. Dasselbe etwas derber ausgedrückt: Ob wir in Österreich unseren Ferkeln den Schmerz bei der Kastration ersparen, interessiert in China keine Sau…
Ob wir in Österreich unseren Ferkeln den Schmerz bei der Kastration ersparen, interessiert in China keine Sau…
Ich habe versucht ein paar Zusammenhänge anzureißen, die man verstehen muss, wenn man Praktiken einer Branche, wie die betäubungslose Kastration in ein rechtes Licht rücken will. Dazu ist zunächst die Emotion rauszunehmen. Ich weiß, wie schwierig das ist. Als ich selbst vor gar nicht allzu langer Zeit erfahren habe, dass in Österreich männliche Ferkel ohne Betäubung kastriert werden, war meine erste Reaktion ebenfalls heftig emotional abwehrend, ja beinah körperlich habe ich den „Kastrationsschmerz“ der armen Schweine nachempfunden. Mittlerweile weiß ich wesentliche Dinge und Zusammenhänge mehr darüber. Ich finde nach wie vor, dass diese Praxis geändert gehört und ich weiß, dass viele aus der Branche ganz ähnlich denken. Aber die Lösungswege wollen vorsichtig beschritten und zuvor erforscht werden. Das geschieht schon. Nach allem, was ich höre, ist es ein schwieriger Weg. Und ähnliches gilt für andere heiße Eisen in der Schweineproduktion.
> SCHWEIN: Tierwohl: Der entfremdete Blick des Konsumenten
Wir von Land schafft Leben glauben, dass wir zu einer unaufgeregteren, sachlicheren Diskussion beitragen können. Das ist der Grund, warum wir keine neue Sau durchs Dorf treiben, sondern das Schwein zeigen wollen.