Das Mikrobiom: die Welt im Darm
02.05.2024 / Ernährung & Gesundheit
Gabriele Berg ist Mikrobiomforscherin und Professorin an der TU Graz. In der neuen Podcast-Folge von Wer nichts weiß, muss alles essen entführt sie die Hörerinnen und Hörer in die Welt der Darmgesundheit. Wie diese mit unseren Ernährungsgewohnheiten zusammenhängt und auf welche Lebensmittel wir setzen sollten, um unseren Darm zu unterstützen, erklärt sie im Interview.
Land schafft Leben: Man hört so viel vom „Mikrobiom“. Was genau ist das eigentlich?
Gabriele Berg: Das Mikrobiom sind alle Mikroorganismen an einem Platz zusammen mit ihrem „Haus“. Die Mikroorganismen bauen sich nämlich ein Haus. Dort scheiden sie Substanzen aus, leben zusammen, interagieren und haben sehr viele Sprachmoleküle.
Land schafft Leben: Wie können wir uns diese Mikroorganismen vorstellen?
Gabriele Berg: Alle Mikroorganismen zusammen nennt man Mikrobiota. Und die sind einfach nur mikroskopisch kleine Wesen. Dazu zählen Bakterien, Pilze, Algen, Protisten – also alle kleinen Lebewesen, lediglich millimetergroß. Viren zählen zwar zum Mikrobiom, allerdings nicht zur Mikrobiota, weil sie allein nicht leben können.
Land schafft Leben: Finden wir ein Mikrobiom nur im Darm?
Gabriele Berg: Auf die Frage, „Wo ist das Mikrobiom?“ kann man eigentlich nur sagen: überall.
Land schafft Leben: Wie lange wird schon am Mikrobiom geforscht?
Gabriele Berg: Vor etwa 400 Jahren hat man die ersten Mikroorganismen durch das Mikroskop gesehen.
Land schafft Leben: Mikroorganismen werden oft mit Krankheiten in Verbindung gebracht. Zurecht?
Gabriele Berg: Seit Beginn der Forschung gelten Mikroorganismen für viele fälschlicherweise als Krankheitserreger. Das ist leider immer die erste Assoziation: Bakterien – Mikroorganismen – Krankheit. Das Mikrobiom bringt aber einen totalen Paradigmen-Shift in diese Diskussion. Weil Mikrobiome nicht Krankheits-, sondern Gesundheitserreger sind.
Land schafft Leben: Wie viele dieser Mikroorganismen hat ein Mensch?
Gabriele Berg: Wir leben mit rund einer Billiarde Mikroorganismen zusammen. Die Menge von Mikroorganismen ist fast immer ähnlich, die ändert sich gar nicht wirklich. Was sich ändert durch äußere Einflüsse ist die Zusammensetzung, also die Diversität, die Vielfalt von diesen Mikroorganismen, die da zusammenleben. Die kann abnehmen. Und was dann auch abnimmt ist die Gleichmäßigkeit. Wir haben dann nicht mehr ganz viele kleine Kolonien. Stattdessen haben wir einige wenige, die wachsen und dann sehr wohl Krankheiten verursachen können.
Land schafft Leben: Ab wann haben wir ein Mikrobiom?
Gabriele Berg: Der Grundstock des Mikrobioms wird schon bei unserer Geburt gelegt. Zusätzlich kommen dann Mikroorganismen aus unserer Umwelt hinzu. Zum Beispiel können wir über unsre Ernährung, insbesondere mit Früchten und Gemüse, sehr viele wertvolle Mikroorganismen zu uns nehmen.
Gabriele Berg ist Mikrobiomforscherin und Lektorin der TU Graz (c) Land schafft Leben
Land schafft Leben: Unsere Ernährung hat also einen Einfluss auf das Mikrobiom in unserem Körper?
Gabriele Berg: Ja. Es gibt langsam- und schellwüchsige Mikroorganismen – und wir brauchen beide davon. Essen wir nur noch zuckerhaltige, hochverarbeitete Produkte, haben wir nur noch schnellwüchsige Mikroorganismen. Das muss man sich vorstellen wie ein Land nur mit Autobahnen. Wenn es dort kracht, geht gar nichts mehr. Wenn wir aber auch die langsamwüchsigen haben, sind das die kleinen Straßen und Wege abseits der Autobahn. Mit diesen ist das Netz vollkommen, es vermittelt Resilienz.
Land schafft Leben: Wie genau ist das mit den Mikroorganismen in Lebensmitteln?
Gabriele Berg: Wenn man beispielsweise einen Apfel isst, dann nimmt man seine Vitamine, Ballaststoffe usw. zu sich – die alle ganz wichtig sind. Man isst also Nährstoffe für die eigenen Mikroorganismen. Gleichzeitig isst man aber auch die Mikroorganismen des Apfels selbst. Und davon stecken ungefähr 100 Millionen in jedem einzelnen Apfel. Gleiches gilt für jede Erdbeere, Weintraube, Karotte. Wobei eine Karotte ein ganz anderes Mikrobiom hat als etwa ein Sellerie.
Land schafft Leben: Was passiert dann im Darm?
Gabriele Berg: Unsere Darmflora freut sich regelrecht, wenn die Mikroorganismen von einem Gemüse oder Obst im Darm dazukommen. Für jene Mikroorganismen, die im Darm noch nicht vorhanden sind, ist eine Lücke bereit, in der sie Platz finden können. Jene, die schon da sind, passieren und tun dabei auch ihr Gutes.
Land schafft Leben: Verändert sich das Mikrobiom in einem Lebensmittel?
Gabriele Berg: Ja, mit der Zeit. Am Mikrobiom merkt man das Alter des Lebensmittels. Wenn wir beispielsweise einen Apfel lange lagern, hat er ein anderes Mikrobiom, als wenn er frisch geerntet ist. Das kann dann gefährlich für unsere Darmgesundheit werden.
Land schafft Leben: Spielt die Regionalität von Lebensmitteln eine Rolle für das Mikrobiom?
Gabriele Berg: Der importierte Apfel aus Südafrika mag zwar auch im Winter schön rotbackig aussehen, ist allerdings unserem Mikrobiom nicht mehr so dienlich. Das ist der längeren Lagerungszeit während des Transports geschuldet. Frische, regionale Produkte sind daher für unser Mikrobiom die bessere Wahl.
Land schafft Leben: Kann man das Mikrobiom im Darm bewusst verbessern?
Gabriele Berg: Auf jeden Fall. Mit einer entsprechenden Ernährungsumstellung dauert es nur rund sechs Wochen, bis man ein stabiles anderes Mikrobiom im eigenen Darm hat. Ungefähr sechs Wochen lang schmeckt die gewohnte Nahrung nämlich noch besser als die neue, mikrobiomfreundlichere. Denn die Mikroorganismen wollen gerne immer das essen, was sie gewohnt sind. Insofern muss man versuchen, sein Darmhirn mit dem Großhirn zu überlisten.
Land schafft Leben: Hat das Mikrobiom eines Lebensmittels einen Einfluss auf dessen Verträglichkeit?
Gabriele Berg: Ja. Viele Menschen reagieren heute etwa allergisch auf Äpfel. Die alten Apfelsorten aber können viele noch problemfrei essen. Nur die modernen nicht, denn die sind zuckerhaltiger und die ganzen Phenole wurden rausgezüchtet – dadurch haben diese Äpfel ein anderes Mikrobiom.
Land schafft Leben: Das Fermentieren erlebt gerade eine Renaissance. Wie stehen Sie dazu?
Gabriele Berg: Fermentierte Produkte sind sehr gesund. Allerdings spielt bei der Fermentation auch die Umgebung eine Rolle. Jedes Zuhause, jede Küche, aber auch jeder Mensch, jede Hand hat ein unterschiedliches Mikrobiom. Früher hat man zuhause fermentiert, jetzt gibt es auch industrielle Fermentation. Bei der hat man aber nicht die Vielfalt vom Mikrobiom, wie man sie in selbstgemachten Produkten hat. Damit geht dann schon wieder ein Stück Vielfalt verloren.
Land schafft Leben: Welche Lebensmittel haben wir in Österreich, die gut für das Darm-Mikrobiom sind?
Gabriele Berg: Handgemachter Käse etwa hat eine ganz eigene Bakterienvielfalt. Wir haben in Österreich ja tollen Käse, zum Beispiel in der Steiermark. Die Ennstaler Käsesorten etwa haben ein ganz eigenes Mikrobiom. Mit dem lassen sich sogar Darmkrankheiten heilen. Aber auch Sauerteigbrot ist gut für das Darm-Mikrobiom. Genauso wie bei der Fermentation findet dort eine Art Vorverdauung statt. Dafür sind Laktobazillen verantwortlich, die im Sauerteig arbeiten und schon mal ein bisschen vorverdauen. Laktobazillen stellen eine natürliche Überlappung vom Pflanzenmikrobiom zum Darmmikrobiom dar.
Land schafft Leben: Wie hängt unser Darm-Mikrobiom mit der Psyche zusammen?
Gabriele Berg: Unsere Darmmikroorganismen produzieren selbst Hormone. Oder aber initiieren das bei anderen Mikroorganismen. Insofern sind sie auch sehr stark für unser Wohlbefinden verantwortlich. Und wenn das Darmmikrobiom dann verarmt und nicht mehr genug Serotonin produziert wird, dann kann es beispielsweise sogar zu Depressionen kommen.
Land schafft Leben: Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Umwelt und menschlicher Gesundheit?
Gabriele Berg: Wenn wir langfristig die Gesundheit der Menschen sichern wollen, dann müssen wir unsere Umwelt erhalten, verbessern, schützen. Und daran müssen wir alle arbeiten. Ansonsten funktioniert es nicht. Eine gesunde, diverse Umwelt zu erhalten ist eines der wichtigsten Ziele der Menschheit.
Land schafft Leben: Ihr Expertinnen-Tipp für ein gesundes Darm-Mikrobiom?
Gabriele Berg: Das Entscheidende in unserer Ernährung für das Mikrobiom: Vielfalt auf den Teller zu bringen – mit frischen, regionalen Produkten. Aber Vielfalt bedeutet eben auch, sich mal eine Pizza zu gönnen.