Skandal! Keine einzige Tomate aus Österreich in spanischen Supermärkten…
01.09.2017 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Familienurlaub im Norden Spaniens: Kulinarik, Kochen und dazugehöriger Einkauf als kulturelle Erfahrung. Spanien tickt anders, aber nicht weniger regional als Österreich. Im Baskenland, Kantabrien und Asturien heißt das „mare e monti“, wie sich ein Italiener ausdrücken würde. Mein overall Eindruck: viel Fleisch, viel Fisch und Meeresfrüchte, frisches Obst und Gemüse, kaum Frischmilch, dafür herrliche Käsespezialitäten. Vor allem Fisch und Fleisch zu für den gelernten Österreicher verwirrend günstigen Preisen. Bio allerdings scheint kein Thema…
Der Titel meiner kulinarischen und agrarischen Reisebeobachtungen soll natürlich witzig sein und ein wenig die Gepflogenheiten der globalen Lebensmittelhandels auf die (spanischen Stier-) Hörner nehmen: Regionale Produkte dominieren das Sortiment, und genau so sollte es sein, meiner Meinung nach!
Kühe, Kälber und Stiere wohin das Auge blickt
Apropos Stierhörner: um diese zu sehen, muss man nicht in die Arena in Spanien. Behorntes Weidevieh, männlich wie weiblich, siehst du jeden Tag. Mutterkuhhaltung schien mir wirklich sehr weit verbreitet und die Bilder von Kühen und Kälbern, die auf steilen, meerumtosten Klippen, in den Atlantik hinein zu grasen schienen, werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Schöne Bilder!
Kühe und Kälber, die auf steilen, meerumtosten Klippen in den Atlantik hinein zu grasen schienen...
Nicht minder schön die Almbilder, die sich dir auftun, wenn du von der Küste weg nur wenige Kilometer ins gebirgige Hinterland fährst. Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde in der schönsten Weidefreiheit bunt gemischt. Etwas fürs (alte Almhirten-) Herz.
Mutterkuhherde in den asturischen Picos de Europa - Etwas fürs alte Almhirten-Herz
Ich weiß natürlich nicht, ob dieserart der Großteil der nordspanischen Rindermast praktiziert wird und wage das mal angesichts der im Schnitt wirklich super niedrigen Preise im Supermarkt zu bezweifeln. Ist es doch so, dass diese extensive im Vergleich zur stark getreidelastigen Intensivmast ökologischere und für das Tier bessere Form der bäuerlichen Fleischerzeugung erheblich teurer ist in der Produktion. Aber wie gesagt, sie scheint wirklich weit verbreitet. Nach dem augenfälligen Eindruck würde ich schätzen, dass sie eindeutig weiter verbreitet ist als selbst bei uns in Österreich. Ich hoffe mich darin zu täuschen.
Edelschwein hat seinen Preis und seine Fans
Der oben kurz angesprochene Unterschied in den Produktionskosten (und der damit erzielten Qualität) zwischen extensiver Weide- und intensiver Stallmast schlägt sich bei einem der berühmtesten spanischen Fleischprodukte enorm zu Buche. Obwohl nicht hier im Norden sondern eher in Zentral- und Südspanien produziert, gibt es im ganzen Land sowohl in den Supermärkten als auch in Restaurants und Tappasbars Rohschinken der Premiumklasse vom Cerdo Ibérico. Schweine einer eigenen Rasse, welche zumeist in Korkeichenwäldern halbwild gehalten und in der Endmast hauptsächlich mit Eicheln gefüttert werden. Rohschinken von diesen Schweinen, sogenannter Jamón Ibérico schlägt mit einem vier- bis fünffachen Preis zu Buche verglichen mit konventionellem Serrano. Ein Kilopreis bis 50 ja 60 Euro wird für diese nationale Spezialität scheint‘s anstandslos in Kauf genommen.
Jamón Ibérico, da schlägt das spanische Gourmetherz höher, da klingelt die Kasse
Milch kaum frisch
Wie gesagt solcherart im Freiland gehaltener Schweine wird der Tourist im Norden Spaniens nicht ansichtig. Auch Milchkühe im Freiland sieht man verglichen zu den zahllosen Begegnungen mit Mutterkuhherden eher selten. Ein paar Schwarzbunte Holsteinherden habe ich zwar gesehen, aber das Gros der Nordspanischen Milchproduktion wird sich – ich habe das nicht überprüft in einschlägigen Statistiken – im geschlossenen Stallbereich abspielen. Bio-Milch und Milchprodukte habe ich gar keine gesehen in den Supermarktregalen. Frisch-, ja selbst „Länger-Frisch-Milch“ also E(xtendes)S(helf)L(ife) Milch ist eine rare und schnell ausverkaufte Produktgruppe im Kühlregal. Eindeutig mengenmäßig dominiert von ungekühlt haltbarer UHD-Milch (ultrahocherhitze Haltbarmilch). Da also hat es der österreichische Frischmilchliebhaber doch eindeutig besser – noch(!?).
Frischmilch ist eine schnell ausverkaufte Rarität und Bio scheint's kein Thema
Käsenation Spanien
Wenn wir Österreicher uns eine Käsenation nennen dürfen, dann, sage ich als bekennender Käseaficionado, hat Spanien mindestens dasselbe Recht darauf. Wunderbar, so soll es ja sein: Regionale Spezialitäten, die das Käseherz höher schlagen lassen, von der Kuh, dem Schaf, der Ziege.
Beim Käse, egal ob jetzt Italienischer Grana, Schweizer Emmentaler, Holländischer Gouda, oder englischer Cheddar beispielsweise, habe ich ja immer den Verdacht, dass praktisch nur Ausschussqualität als Massenprodukt das Land verlässt, während alles was gut und teuer, sprich schön alt und gereift ist, im jeweiligen Herkunftsland verbleibt und dort verspeist wird. Ich weiß nicht, ob das so stimmt, aber mein Gaumen ist da eigentlich unbestechlicher Zeuge für diese, wenn sie denn wahr ist, „skandalöse“ Praxis.
Spanischen Käse suche ich in heimischen Supermärkten wohl zumeist vergeblich. Das kann nichts damit zu tun haben, dass dieser nicht locker mit seinen weltberühmten französischen und italienischen Kollegen konkurrieren könnte. Und ähnlich wie beim Fisch und beim Fleisch: der Kilopreis von absoluter Top-Ware verwirrt dem österreichischen Käsefreund schon ein wenig den Geist, der weiß was er hierzulande am Bauernmarkt für einen ein- oder gar zweijährigen Bergkäse hinlegt: wie können die das zu dermaßen billigen Preisen verkaufen?
Fisch, Fisch, Fisch
Ganz ähnlich beim Fischkauf. Nur, dass hier der Preisunterschied noch einmal deutlich eklatanter ausfällt. Dafür scheint es leicht nachvollziehbare Gründe zu geben: Der Atlantik liegt vor der Haustür und Tag für Tag verlassen abends Hunderte und Tausende von Fischerbooten die Häfen Nordspaniens um dorthin in den frühen Morgenstunden mit vollen Schiffsbäuchen zurückzukehren. Vom kleinen Motorboot bis zu den mittelgroßen Trawlern habe ich das mehr als einmal selbst mitverfolgt. Die supergroßen Fangschiffe, so sie denn an Spaniens Nordküste zum Einsatz kommen, habe ich nicht beobachten können.
Hunderte von Trawlern verlassen Abend für Abend die Häfen Nordspaniens
Es ist eine ganz eigene Szenerie, wie im kantabrischen Santoña, wo ich dies beobachten konnte, die sich da dem laienhaften Auge bietet am frühen Morgen – für Spanien früher Morgen, also so ab Acht! Wenn aus den eisgekühlten Tiefen der Trawler eine Kiste Fisch nach der anderen am Hafenquai ausgeladen, von zahlreichen Händen sortiert und anschließend sofort in die Halle oder nahegelegene Fischgeschäfte zum Verkauf oder zur Weiterverarbeitung gebracht wird, in die dem Hafengelände angeschlossenen Konservenbetriebe.
Eine Art stressfreie Geschäftigkeit, wie mir schien, mit der nötigen Konzentration, die aber durchaus Raum und Zeit für Späße und kleine freundliche Sprechgefechte ließ, so ich den mir mangels Spanischkenntnissen unverständlichen Inhalt aus den Gesichtern und Gesten richtig gedeutet habe. Thunfisch und Sardellen aus Santoña sind ganz Spanien ein Begriff. Ich habe keinen Begriff davon, ob die landläufig bekannte Überfischung unserer Meere auch im nordspanischen Atlantik ein großes Problem ist. Die hier lebenden und großenteils von Fischfang, -verkauf und -verarbeitung lebenden Menschen machten mir nicht den Eindruck als würde sie das in ihrem Tagesgeschäft besonders bewegen. Die ganze Stadt ist dafür mitunter ein einziger Fischgeruch, mal recht angenehm und mal eindeutig zu intensiv, je nach Wind.
Fisch und Meeresfrüchte also in Topqualität absolut frisch und so günstig, sodass ich mich einfach nicht zurückhalten konnte.
Fangfrische Langusten zu einem Kilopreis von unter 10 Euro!
Jeder, der sich hierzulande wenigstens ab und zu diesen Luxusartikel leistet, weiß, wie verlockend das sein muss. Ich finde es übrigens ganz in Ordnung, dass wir in Österreich dafür ordentlich zur Kasse gebeten werden und sich so der Konsum von selbst in vernünftigen Grenzen hält. Da scheinen einmal die Transportkosten sich angemessen im Preis wiederzufinden. Wir wissen alle, dass dies zumeist nicht der Fall ist. Fisch in Österreich heißt für mich vor allem regionaler Fisch a la Forelle, Saibling und co. Wenn ich aber am Meer urlaube und zusehen kann, wie Tag für Tag frischer Fisch „an Land gespült wird“, dann greif ich zu. Man wird mir vielleicht mangelndes ökologisches Gewissen vorwerfen, mag sein. Alle vegetarisch/vegan oder auch sonst ökologisch Bewegten, die mir meinen Fischgenuss nicht nachsehen werden, kann ich vielleicht damit versöhnen, dass mich der Meeresgott noch am letzten Abend mit einer kleinen Fichvergiftung gestraft hat.
Regionalität bestimmt das Angebot
Damit wäre ich zu meinem ironischen Titel und meinem Eingangsstatement zurückgekehrt. Es wäre absurd, wenn ich in Spanien österreichische Tomaten/Paradeiser gefunden hätte. Ob es umgekehrt weniger absurd ist, dass in heimischen Supermärkten auch zu Zeiten, wo hierzulande Tomaten Hochsaison haben, immer wieder auch spanische (italienische, marokkanische etc.) sich im Angebot finden?
Freilich will ich den regionalen Gedanken nicht überstrapazieren. Ich finde es wunderbar, dass ich beispielsweise die eine oder andere italienischen Käsespezialität, dass ich Zitrusfrüchte, dass ich spanischen Wein in den Sortimenten der heimischen Supermärkte und Diskonter finde, neben heimischer Ware. Dass ich zumeist dennoch Letzterer den Vorzug gebe, hängt mit deren hervorragender Qualität und dann noch schlicht damit zusammen, dass ich weiß, was dahinter steht und wie sehr die heimische Lebensmittelproduktion darauf angewiesen ist, dass ich sie unterstütze.
Schade für die Spanier, dachte ich mir, die Weltklasse österreichischer Weine hat sich offenbar noch nicht bis dorthin durchgesprochen
Und wenn ich schon das Beispiel vom spanischen Wein gebracht habe. Ich liebe hervorragenden Rioja und gönne mir ab und zu auch hierzulande ein Fläschchen davon. Umgekehrt konnte ich – wenig überraschend – in Spanien keinen österreichischen Wein finden. Schade für die Spanier, dachte ich mir, die Weltklasse österreichischer Weine hat sich offenbar noch nicht bis dorthin durchgesprochen. Deren (nicht schlechter) Weißwein kann nämlich nur schwer mit einem guten Morillon aus dem steirischen Hügelland, einem feinen Löss-Riesling aus der Wachau oder einem Veltliner aus dem Kamptal mithalten!
Was bleibt
Eindrücke, Gedanken, Bilder, Gerüche und ein paar Extrakilos, die mir allerdings meine kleine Fischvergiftung zum größten Teil schon wieder vom Hals geschafft hat...