Schweine schlachten Teil I

19.05.2017 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Neben dem Geschlechtstrieb bestimmt kein Bedürfnis das Handeln des Menschen so sehr wie die Sehnsucht nach moralischer Überlegenheit. (Franz Werfel)

Nach Huhn und Pute jetzt also das Schwein. Das ist schon noch mal ganz was anderes, so ein Schwein. Nicht nur weil es ein ganz anderes Kaliber ist, ein ungleich größerer Organismus, der da im großen wie im kleinen Stil, möglichst schonend, aber auch möglichst reibungslos, möglichst effizient geschlachtet werden soll. 

 

Frühaufsteher

Am Hof

4:30 am Morgen. Der Bauer, der selbst zur ultimativen Tat schreitet, sagt, dass die Tiere am frühen Morgen noch viel ruhiger sind. 6 Schweine sollen es werden an diesem Tag. Das normale Wochenpensum. Nur rund um Ostern sind es wesentlich mehr. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Er kann sich das leisten, flexibel zu sein, weil sich seine Kundschaft das leistet. Ein etwas teureres Fleisch. Wieviel teurer, will ich wissen. Gar nicht mal so viel mehr, sagt er, als der Normalpreis im Supermarkt. Mit dem Aktionspreis freilich, da kann und will er nicht mithalten.

Am Schlachthof

4:00 am Morgen: Vorbesprechung mit dem Geschäftsführer, der zuständigen Amtstierärztin, dem technischen und dem Betriebsleiter. Die Schlachtung wird um Punkt 4:45 beginnen. Tiere treffen schon seit Stunden laufend ein und sollen in den Warteboxen allfälligen Transportstress abbauen können. Ein bisschen „Stress“ auch hier im Besprechungszimmer. Immerhin sollen wir ja „alles“ filmen und die Beteiligten wissen um das Heikle am Thema Schlachtung. „Schlachtung ist nie schön“, sage ich dann, „das ist ja klar. Aber es kommt immer darauf an, wie ich hinschaue, wie ich es zeige, worum es einem geht. Wir wollen hier nicht Skandal machen. Wir wollen diesen für die nach wie vor allermeisten Konsumenten notwendigen Teil der Produktion des Lebensmittels Fleisch in ein neutrales Licht stellen. Wir wollen informieren. Den, den das interessiert. Fair und korrekt. Dazu müssen wir auch die eine oder andere heikle Frage stellen, das eine oder andere unschöne Bild einfangen. Aber sie werden das kommentieren. Sie werden die Vorgänge erklären können.“ Das scheint zu helfen. Die Anspannung lässt spürbar nach. Wir können mit dem Schlachten beginnen.

 

Wir wollen diesen für die nach wie vor allermeisten Konsumenten notwendigen Teil der Produktion des Lebensmittels Fleisch in ein neutrales Licht stellen.

Die Lebendbeschau

Am Hof

Zu dritt machen sich der Bauer, sein Vater und ein Helfer ans Werk. Die ersten vier ausgewählten Schweine dösen noch in einer eigenen Box. Wenige Meter neben dem Schlachtraum. Die amtliche Lebendtierbeschau durch den Tierarzt erfolgt. Dieser hört tatsächlich jedes Schwein mit dem Stetoskop ab und schiebt ihm ein Thermometer in den After. Das erstaunt mich. Er nimmt das genau, meint der Veterinär. Wäre eine Sau beispielswiese in der „Rausche“ (also in ihrer fruchtbaren Phase) würde ihm erhöhte Temperatur das anzeigen. Das Tier würde dann nicht zur Schlachtung frei gegeben. Natürlich auch kein erkranktes. Die Schweine lassen sich die Untersuchung erstaunlich gleichmütig gefallen. Das gilt dann nur mehr eingeschränkt für den kurzen Transport in den angrenzenden Schlachtraum.

Am Schlachthof

Eine Tierärztin nimmt jeden eintreffenden Tiertransport ab. Die Tierschutzbestimmungen den Transport betreffend werden überprüft (Platzangebot/Rutschfestigkeit etc.). Die Tiere werden – allerdings nicht einzeln – und hier einmal nur optisch nach ihrem Gesundheitszustand beurteilt. Für die Schlachtung offensichtlich untaugliche Tiere würden hier bereits notgeschlachtet, wie man uns auf Anfrage mitteilt. Das passiert während unserer Anwesenheit nicht und überhaupt sehr selten, wie die penibel geführten Aufzeichnungen belegen. Noch seltener laut den Aufzeichnungen sind bereits tot angelieferte, also während des Transports verendete Tiere. Oft mehrere Monate hindurch keines.

Die Tiere in den Anhängern liegen größtenteils herum, bis sie in Kleingruppen über die Verladerampe in die Wartehalle getrieben werden. Alles hier ist erstaunlich ruhig. Nur gelegentlich ein dann aber markerschütterndes Quieken, wenn etwa ein Schwein ein anderes bespringt, oder sich das eine oder andere Tier nicht treiben lassen will. Die Schweine kommen dann in abgetrennte Boxen, wo sie sich sehr rasch wieder völlig beruhigen und in aller Regel weiter dösen. Hier verbleiben sie bis zu zwei Stunden bevor sie geschlachtet werden.

Nur gelegentlich ein dann aber markerschütterndes Quieken, wenn etwa ein Schwein ein anderes bespringt, oder sich das eine oder andere Tier nicht treiben lassen will

Mein Eindruck

Weder am Hof noch am Schlachthof habe ich das Gefühl, dass die Schweine übermäßig und größtenteils gestresst sind. Ich sehe und höre nicht „Tiere in Todesangst“. Ich nehme ab und zu wahr, dass einzelne Schweine aus dem vorgesehen Ablauf ausscheren wollen und dass sich dann relativ schnell, aber auch relativ selten, relativ dramatische Szenen ereignen. Wobei die wirklich markerschütternden Schreie der Schweine das bei weitem Dramatischste sind. Der Bauer bei der Hofschlachtung auf das Schreien angesprochen: „Kann sein, dass eins genauso schreit, wenn ich mit dem Futter komme, oder einfach nur den Kopf in den Stall rein stecke“, Die Tierärztin meint in ihren Worten ungefähr dasselbe: Die Schreie hier seien ganz normale physiologische Verhaltensweisen der Schweine und nicht etwa Schlachthof-spezifisch.

Ich sehe keine Brutalitäten, wenn man das gesamte Geschehen nicht als brutal bezeichnen will. Das will ich und kann ich nicht.

Die handelnden Akteure vermitteln ebenfalls nicht den Eindruck von Dauerstress. Konzentrierte Routine trifft es schon eher. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass irgendwie auf Show gemacht wird, weil wir ja schließlich die Kamera an haben. Bei einer Show müssten ja auch die Tiere mitspielen. Und die tun das nicht immer, wie schon bemerkt. Manchmal sträubt sich das eine oder andere gegen die „Dramaturgie“ und will selbst Regie führen. Das geht natürlich nicht. Ich sehe keine Brutalitäten, wenn man das gesamte Geschehen nicht als brutal bezeichnen will. Das will ich und kann ich nicht. Der Umstand, dass ich es alles nicht tun könnte, dass ich  – gefühlt – dazu nicht in der Lage wäre, hat ja nichts zu sagen. Er kommt bei mir keinerlei Gefühl moralischer Überlegenheit bzw. Abneigung gegen die hier arbeitenden Menschen auf. Für den Bauern, der schlachtet, für die Treiber im Schlachthof, für die Tierärztin, die alles kontrollieren muss und den Tod tausender Schweine begleitet, wäre es womöglich unzumutbar und gefühlt „brutal“ einen Blog schreiben zu müssen… 

Der „letzte Gang“

Am Hof

Jetzt wird ein Schwein nach dem anderen in den Schlachtraum geführt. Dazu wird ein Strick in der Art eines Halfters an Kopf und Rüssel des Schweines befestigt. Hier kommt denn auch teilweise Protest auf. Aber nicht von allen, wie ich bemerke. Die erste Sau marschiert ohne jeden Widerstand. Die zweite dagegen schreit kurzzeitig wie am Spieß und muss ein wenig geschoben werden. Die dritte und vierte dann wieder problemlos. Nummer fünf und sechs werden aus einem etwas weiter weg gelegenen Stallabteil auf eine Art Wagen verfrachtet und in den Schlachtraum gerollt. Nummer fünf versucht auszubüchsen und wird behutsam, aber unmissverständlich daran gehindert. Die Männer sind um Ruhe bemüht, das ist klar ersichtlich. Schon in ihrem eigenen Interesse.

Am Schlachthof

Ob bei der industriellen Schlachtung ein Schwein seine allerletzten Meter alleine oder in der Kleingruppe zurücklegt, was für das Tier tendenziell weniger Stress bedeutet, hängt von der Art der verwendeten Betäubung ab. Ich werde also beim nächsten Punkt näher darauf eingehen.

Mein Eindruck:

Wiederum: Es läuft erstaunlich ruhig ab. Etwas mehr Widerstand von Seiten der „zur Schlachtbank“ geführten Schweine hätte mich nämlich nicht überrascht. Weiß ich doch, dass es potentiell immer problematisch ist, wenn Herdentiere vereinzelt werden. Ich kenne das von der Alm. Auch Kühe stresst es, wenn sie von der Herde abgesondert werden. Schon zwei, drei Tiere genügen mitunter als „Herde“. Aber eine Kuh allein, das geht dem Tier nicht ein. So viel zum angeblichen Individualismus, zur Einzelpersönlichkeit, die Tierrechtler unseren animalischen Verwandten so gerne attestieren. In Joseph Haydens „Schöpfung“ erschafft Gott die Kühe bereits „in Herden abgeteilt“. 

Ob die Tiere wissen oder spüren oder riechen, dass es ihr letzter Gang ist? Ich kann die Frage nicht beantworten, weil ich kein Schwein dazu befragt habe – das soll nicht witzig sein, sondern die letztliche Unbeantwortbarkeit dieser Frage zum Ausdruck bringen. Die Schweine verhalten sich unterschiedlich. Die allermeisten zeigen für mich kein äußerlich erkennbares Stressverhalten. Ungewohnte Umgebung, ungewohnte Abläufe sind immer mögliche Stressoren für Tiere. Weiß ein Schwein etwas mit dem Begriff „Tod“ anzufangen? Hat es das Gefühl, dass es jetzt mit ihm zu Ende geht? Nimmt ein Schwein Anteil am Tod eines Kollegen, der in unmittelbarer Nähe, in Sicht- in Riechweite jetzt geschlachtet wird bzw. wie bei der Hofschlachtung frisch geschlachtet da liegt, während es selbst in die Schlachtkammer geführt wird?

 

Weiß ein Schwein etwas mit dem Begriff „Tod“ anzufangen? Hat es das Gefühl, dass es jetzt mit ihm zu Ende geht?

Hier beobachte ich übrigens etwas, das mir schon auf der Alm öfter untergekommen ist. Ein verendetes Tier wird von seinen Herdenkollegen wohl mitunter berochen, als irgendwie merkwürdig wahrgenommen, scheint aber allem Anschein nach keinerlei „Schock“, Stress etc. auszulösen. Man kennt dieses Verhalten auch von der sogenannten „Weideschlachtung“, wenn ein Tier gezielt aus einer kleinen Gruppe „herausgeschossen“ wird. Der Schuss lässt wohl alle kurz zusammen zucken, das getroffene Tier fällt um und die anderen grasen nach wenigen Sekunden oft weiter als sei nichts geschehen. So auch hier: Das Schwein, welches jetzt „an der Reihe ist“ steht scheinbar unbeteiligt neben dem bereits ausgebluteten leblosen Körper seines Vorgängers. Ich meine, ohne letzte Gewissheit darüber reklamieren zu können, dass Tiere tatsächlich nicht über den Tod nachdenken können. Dass sie Todesangst im menschlichen Sinn nicht kennen. Der Gedanke: „Jetzt ist es aus mit mir, jetzt werde ich sterben!“ und die damit verbundene psychische Qual, bleibt Schweinen, bleibt Tieren, so denke ich, erspart. Es ist für mich keine Frage, dass auch Tiere leben wollen, wie jedes Lebewesen. Ich denke aber, dass sie zu Lebzeiten und auch unmittelbar vor ihrer Schlachtung „keinen Gedanken an den Tod verschwenden“, um das mal salopp auszudrücken.

Der Gedanke: 'Jetzt ist es aus mit mir, jetzt werde ich sterben!' und die damit verbundene psychische Qual, bleibt Schweinen, bleibt Tieren, so denke ich, erspart.

Ich will hier mal innehalten. Ich höre schon den Aufschrei der moralisch Erschütterten. Was maßt er sich an uns hier die Schlachtung als „eh nicht so schlimm“ für das Schwein verkaufen zu wollen! Was maßt er sich an, sich angeblich in ein Schwein hinein zu fühlen, nur um uns weiszumachen, dass ein Schwein eh nix fühlt usw. usw. Nun, nichts dergleichen liegt in meiner Absicht. Ich habe Beobachtungen so wiedergegeben, wie ich sie erinnere. Ich bin mir sogar sicher, dass Schweine empfindsame Wesen sind. Aber ich bin mir auch sicher, dass Schweine keine Menschen sind und deshalb auch nicht wie Menschen empfinden. Man mag mir meine darauf aufbauenden Spekulationen vorwerfen, mich einen rohen, empathielosen Menschen, einen gewissenlosen Auftragsschreiber der „Fleischlobby“ nennen. Ich kann damit leben. Und zitiere zum vorläufigen Ende noch einmal Werfel:

„Neben dem Geschlechtstrieb bestimmt kein Bedürfnis das Handeln des Menschen so sehr wie die Sehnsucht nach moralischer Überlegenheit.“

> Schweine schlachten Teil II.