"Massentierhaltung?" Ein paar grundsätzliche Gedanken
15.07.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
Unter einigen Veganern gibt es ein geflügeltes Wort: „Tier-KZ“. Immer mehr Menschen sind von einem oft nur dumpfen Unbehagen erfasst, wenn sie an die Tierhaltung denken. Wunsch(bilder) und Realität scheinen hier ganz besonders weit auseinander zu klaffen. Warum ist das so? Warum sieht die Tierhaltung heute (zumeist) so aus, wie sie aussieht?
Auch ich wünschte mir so vieles und weiß doch, dass es ganz anders aussieht. Und dass dies Ganz-anders-Aussehen seine Gründe hat. Fassen wir doch mal die Gründe ins Auge, bevor Fleischesser und Veganer sich sofort wieder in die Haare geraten.
Im Fall der häufig viel zu wenig differenziert betrachteten „Massentierhaltung“ sind die Gründe meines Erachtens in einem längst unhinterfragten Effizienzstreben gelegen - ein mir bekannter super innovativer Bio-Hühnermäster bezeichnet sich übrigens gern selbst als Massentierhalter: Bei 4800 Hühnern pro Stall müsse man schon von Masse reden, sagt er.
Ein Bio-Hühnerstall mit 4800 Masthühnern der Rasse Hubbard
Effizienzstreben lässt nichts außen vor
Weit mehr jedenfalls als (angeblich) empathielose, tierquälerische Bauern oder (zugegeben) unwissende oder verdrängende Konsumenten sehe ich ein nichts außen vor lassendes industrielles Produktionssystem als Hauptgrund für das Phänomen Massentierhaltung. Die dort geforderte Effizienz wie sich in Züchtung, Haltung, Optimierung des Futters und dessen Verwertung etc. nieder schlägt – so meine These – , ist im Wesen keine andere als jene, die uns Menschen (scheinbar) dazu zwingt, immer mehr zu leisten, einem Wirtschaftswachstum und einer Leistungsteigerung nachzulaufen, nachzuforschen etc., bzw. nachzutrauern, wenn sie mal nicht wie geplant geschafft wird.
Die Massentierhaltung ist in dieses industrielle Produktionssystem unweigerlich eingebunden als ein essentieller Bestandteil desselben, ohne den dieses zusammenbrechen würde. Und damit all die (zweifelhaften) damit verbundenen Errungenschaften. Der technische Fortschritt macht‘s möglich – ja nötig! – er gibt vor und wir richten uns danach.
In allen modernen hochtechnologisch gestützten Arten der Produktion hat der „Gott der Effizienz“ längst das Ruder in der Hand. Nur so ist es möglich, dass einer der Treibstoffe für diese Effizienz, die Nahrungsmittel nämlich, zu einem die Gesamtökonomie nicht gefährdenden, super günstigen Preis dem Menschen zu Verfügung gestellt werden können. Auf dass dieser ständig Energie habe und selber wieder kräftig an der Effizienzsteigerung (damit verbunden Wirtschaftswachstum, Kaufkraftsteigerung etc.) mitwirken kann.
Beispiel hoch- und „minderleistendes“ Huhn:
Ein „minderleistendes“ Huhn etwa, welches sich erfolgreich all den „Fortschritten“ in Zucht, Haltung, Hygiene etc. verweigern hat dürfen, fällt in Sachen Effizienz derart weit hinter seine optimierten Artgenossen zurück, dass sein Preis als Lebensmittel schlicht nicht wettbewerbsfähig ist. Nach unseren Begriffen lächerlich teuer ist es. Mein Demeter-Huhn, das statt den üblichen fünf Wochen ein Jahr lang leben hat dürfen und in dieser Zeit stattliche drei Kilo schwer wurde (Schlachtgewicht), kostet mich satte 50 Euro! Und die zahl ich meinem Bauern direkt, ohne Zwischenhandel, der sich bei diesen Preisen natürlich von selbst verbietet. So würde es aussehen, wenn wir unsere Nutztiere nicht längst zu Hoch- und Höchstleistern gemacht hätten.
Höchstleister und damit wäre ich bei einem Argument, das ich von Bauern immer wieder höre, Höchstes leistende Tiere fordern ihrerseits ein Höchstmaß an Professionalität und leistungsfreundlicher Umgebung, Zuwendung, Betreuung etc. Es ist kein Zufall, dass hier längst von Management die Rede ist. Höchstleistende Nutztiere müssen innerhalb der Leistungsmaximierungsphilosophie genauso „wohl“ und gesund erhalten werden wie ein Spitzensportler oder ein Topmanager (ich weiß, die tun das ja alle total freiwillig und im vollen Bewusstsein ihres Tuns – so wie wir alle! - und werden von niemandem dazu gezwungen – das stelle ich eben ein bisschen in Frage…). Dort, wo dies im großen Stil schief geht und die Tiere „ihre Leistung nicht mehr bringen“, weil sie krank werden etc., liegen Managementfehler weit eher vor als bewusste Tierquälerei. Wer meint, ich redete damit etwas schön, der versteht mich nicht. Ich rede nur Tacheles!
Ein Hochleistungstier gleicht in vielem einem Hochleistungssportler oder Topmanager
Wenn ich also eine bessere Haltung und möglichst stressfreies, sanftes Töten propagiere, bzw. in Sachen Fleischkonsum hier immer weniger bereit bin, Kompromisse im Sinne der Leistungsmaximierung auf Kosten des Hochleistungstieres einzugehen, dann tue ich das aus einem völlig anderen Beweggrund heraus als Veganer, indem ich versuche die Gesamtzusammenhänge mitzudenken, welche hinter der herkömmlichen Nutztierhaltung stehen. Das gilt mit Einschränkungen auch für Bio. Ein Bio-Huhn vom Hybrid-Typus "Hubbard", ähnlich marktführend wie "Ross 308“ im konventionellen Bereich, lebt halt statt vier bis fünf Wochen deren acht und hat mehr Platz, gewiss und Auslauf, was ihm sicher gut tut, aber das ist es auch schon.
"Artgerechte Haltung"? Marketingsprech
Noch ein Wort zum Unwort „artgerecht“ im Zusammenhang mit unseren Nutztieren. Ich halte auch diesen Begriff für einen aus dem Bereich Marketing. Weil sich ein Masthuhn vom Typus „Ross 308“ – welches 80 Prozent der Weltproduktion bestreitet – in etwa so weit entfernt hat vom frei laufenden Urhuhn, einem fleischfressenden Saurierabkömmling übrigens, wie wir Homo Sapiens Sapiens vom Homo Erectus, was soll da der Begriff „artgerecht“? Wie müssten wir Menschen artgerecht leben? Im Kollektiv Mammuts jagend? Oder, sofern wir glückliche Südseeinsulaner als Vorbild nehmen, von den Früchten in den Mund und uns ansonsten nur der Liebe widmend? „Artgerecht“: ein unbrauchbarer Begriff also, wenn ich ehrlich bin.
"Ross 308" das Hochleistungshuhn unserer Tage ist vom "Urhuhn" so weit entfernt wie der Homo Sapiens vom Homo Erectus
Auf der Alm habe ich dem absoluten Luxus fröhnen dürfen, eine ganz unmittelbare langfristige Mensch-Nutztier Erfahrung zu machen, deren Veganer und Nicht-Veganer zum allergrößten Teil entbehren. Ich weiß, dass dort oben (teilweise) andere, aus unserer Zeit ein wenig herausgehobene Gesetze herrschen. Die totale Unterwerfung unter die Effizienz ist auf der Alm nicht möglich – nicht für das Tier, nicht für den Menschen. Ich würde mir für viele Menschen diese Erfahrung wünschen. Man kommt dem Tier ganz leibhaftig näher und ist den Ideologien, Utopien und Fantasien eines „so hätt ich’s gern“, „so wäre es für alle besser“ auf der einen bzw. eines „so muss es sein, so war es immer schon“ auf der anderen Seite nicht so hoffnungslos ausgeliefert.