„Liebling, ich habe die Artenvielfalt geschrumpft!“

13.02.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Urban Gardener, Kleingärtner und Großbauern haben etwas gemeinsam: sie fördern die Pflanzen ihrer Wahl und bekämpfen den Rest.

Von Timo Küntzle

Gerade habe ich die Artenvielfalt massiv eingeschränkt. Ganz ohne Chemie; nicht mal ein Werkzeug habe ich benutzt. Aber der Reihe nach. Vor dem Wohnhaus auf unserem Hof gibt es ein Pflanzbeet. Das habe ich vergangen Herbst mit dem Spaten umgegraben, um auf den rund drei Quadratmetern Waldsteinien zu pflanzen. Das sind bodendeckende Stauden, die gut im Schatten gedeihen und im Frühling gelbe Blüten bilden. Sie sind hübsch anzuschauen und unterdrücken zusätzlich das Unkraut, indem sie teppichartig die gesamte Fläche bedecken. Soweit die Theorie.

Setzen der Waldsteinien Anfang September 2016 (Foto: Diana Küntzle)

 

In der Praxis dauert es eine ganze Weile, bis sich die kleinen Pflänzchen aus der lokalen Baumschule durchgesetzt haben. Um schneller zum gewünschten Ergebnis zu kommen, hätte ich mehr Geld ausgeben und doppelt so viele Pflanzen setzen können. Oder drei Mal so viele. So aber sind auf den freien Flächen zwischen den Waldsteinien erst einmal Wildgräser und -kräuter gekeimt und haben den Waldsteinien ordentlich Druck gemacht, sie schlussendlich im Wachstum überholt.

Schon im Mai habe ich einmal allen Wildwuchs – so gut es eben ging – per Hand beseitigt. Als ich jetzt erneut aus Wien zurückgekommen bin, war von den Waldsteinien schon wieder fast nichts zu sehen; sie waren mit Unkraut überwuchert. Also habe ich wieder meine Hände genommen und alles ausgerissen, was nicht Waldsteinie hieß. Rund eineinhalb Stunden hat es gedauert.

Hin und wieder mag ich Unkrautjäten übrigens: man hat dabei ein klar definiertes Ziel vor Augen, kann ohne geistige Anstrengung vor sich hin wurschteln und hat dabei ständig den frischen Duft von Kräutern und Erde in der Nase. Es täglich acht Stunden lang zu tun, wäre nicht mehr so witzig.

Pflanzbeet nach dem zweiten Unkrautauflauf im Juli 2017 (Foto: Timo Küntzle)

 

Was ich mit dem Unkrautjäten eigentlich erreicht habe, ist die massive Einschränkung der Artenvielfalt in meinem Beet. Geschätzte 10 oder 20 verschiedene Wildpflanzenarten habe ich ausgerissen, um einer einzigen Kulturpflanze Licht, Luft und den Zugang zu den Nährstoffen des Bodens zu verschaffen. Warum erzähle ich das alles? Weil diese drei Quadratmeter exemplarisch für jedes Stückchen Erde stehen, auf dem irgendwo in der Welt Landwirtschaft oder Gartenbau betrieben wird.

Waldsteinien-Beet vor…

... und nach dem Jäten (Fotos: Timo Küntzle)

Was ich mit dem Unkrautjäten eigentlich erreicht habe, ist die massive Einschränkung der Artenvielfalt in meinem Beet.

Die Einschränkung der Artenvielfalt ist das Ur-Prinzip der Landwirtschaft. Ohne sie gäbe es in Mitteleuropa nahezu ausschließlich Laubmischwälder. Darin könnten nur so viele Menschen überleben, wie durch natürlich vorkommende Beeren, Wurzeln, Wildschweine, usw. satt würden. Landwirtschaft bedeutet: die Be-wirtschaftung des Landes. Will heißen: der Mensch versucht zu steuern, was wachsen soll – nicht die Natur. Darin unterscheiden sich großstädtische Dachterrassengärtner nicht von Bio-Bauern und Bio-Bauern nicht von konventionell wirtschaftenden Landwirten. Der Unterschied liegt in der Wahl der Mittel und deren Effizienz.

Diese sehr grundlegende Überlegung sollte uns stets bewusst sein, wenn wir über die Frage reden, wie sich Landwirtschaft auf die Artenvielfalt (Biodiversität) auswirkt. Ganz unabhängig von der Tatsache, dass es viele unterschiedliche Formen und Ausprägungen von Landwirtschaft mit unterschiedlichen Konsequenzen gibt. Im Allgemeinen ist die Artenvielfalt auf biologisch bewirtschafteten Flächen höher als auf konventionell bewirtschafteten. Andererseits sind die Erträge bei Bio unter dem Strich geringer. Was wiederum bedeutet, dass dort je produzierter Einheit eines Lebensmittels mehr Land und andere Ressourcen wie Kraftstoff oder menschliche Arbeitskraft in Anspruch genommen werden. Es kommt eben immer darauf an, von welcher Seite man das Problem betrachtet.​

Die Einschränkung der Artenvielfalt ist das Ur-Prinzip der Landwirtschaft

Klar ist: das Zurückdrängen von Tier- und Pflanzenarten durch Ackerbau & Viehzucht ist ein weltweites Problem, das auch Landwirte nicht leugnen sollten. Es erwächst aus der Logik immer effizienterer landwirtschaftlicher Methoden – Dank derer, nebenbei erwähnt, auch immer mehr Menschen vor Hunger bewahrt werden. Dass auf der anderen Seite auch immer mehr Menschen zu viel und zu reichlich essen, ist ebenso wahr. Viele weitere Aspekte wie Lebensmittelverschwendung, Fleischkonsum, Energiebedarf und so fort, könnte man an dieser Stelle diskutieren. Für heute will ich aber nur sagen:

Wer ackert, will ernten. Oder sich einfach eines Waldsteinien-Beets erfreuen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Timos privatem Blog Legenden der Landwirtschaft