Die Landwirtschaft in der Krise

16.05.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

In der chinesischen Sprache ist das Wort „Krise“ aus zwei Zeichen zusammengesetzt. Eines steht für Gefahr, das andere für Gelegenheit.

von Ricarda Berg

Das Ansehen der Landwirtschaft in der Bevölkerung ist innerhalb der letzten Jahre kontinuierlich gesunken. Die Landwirtschaft ist mehr und mehr mit einem Image-Problem konfrontiert. Als Multiplikator von Nachrichten spielen Medien in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Egal ob Tierhaltung oder Glyphosat – die Landwirtschaft ist im Fokus negativer Berichterstattung. In der Konsequenz sind die öffentliche Diskussion und damit die gesellschaftliche Wahrnehmung sehr häufig negativ konnotiert. Dies birgt eine nicht zu unterschätzende Gefahr in sich. Verliert die Landwirtschaft in ihrem politischen, sozialen und kulturellen Umfeld die Legitimation für ihre Praxis, ist die Freiheit der Gesellschaft, qualitativ hochwertige und preiswerte Lebensmittel aus der Region nachfragen zu können, bedroht. Es ist wichtig, dass die gesamte Branche erkennt, dass sie nicht nur eine wirtschaftliche Verantwortung trägt wie ihre Produktivität und internationale Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch eine gesellschaftliche. Hartwin Möhrle, unter anderem Experte für Krisen- und Risikokommunikation, Issues-Management und Compliance-Kommunikation, bringt es auf den Punkt:

Die Hoffnung man könnte irgendwo in der modernen Welt noch für längere Zeit „unter sich“ sein, ist trügerisch. Öffentliche Akzeptanz, Bekanntheit, Image und Reputation sind zu harten Kriterien des Wettbewerbs um wirtschaftlichen oder ideellen Erfolg geworden. Die Medien wirken hierbei als eigene Gewalt. Sie schüren und richten, sie spitzen zu und korrigieren, sie lösen Krisen aus und helfen, sie zu bekämpfen. Hartwin Möhrle

Das Regelwerk der Landwirtschaft auf EU- Ebene, die Vorschriften der Cross Compliance der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), allein ist zu bürokratisch, um das notwendige Verständnis und Vertrauen der Gesellschaft zu erzielen. In Österreich schafft auch das AMA- Gütesiegel keine ausreichende Abhilfe. Wenn die Landwirtschaft ein positives Image in der Bevölkerung erwirken möchte, muss sie kommunikativ über ihr Regelwerk hinausgehen und den Forderungen der heutigen Kommunikationsgesellschaft gerecht werden. Einfache Werbung ist hier unzureichend. Zudem hat der Lebensmitteleinzelhandel ein in der Realität nicht existierendes auf Emotionen fokussiertes Landwirtschaftsidyll in die Köpfe der Verbraucher/innen eingebrannt. Wo kann also die Landwirtschaft ansetzen?

Die Gesellschaft hat vor allem ein Recht auf wahre, glaubwürdige und belastbare Informationen!

Das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen, wie Lebensmittel hergestellt werden und woher sie kommen, ist unbestritten. Die landwirtschaftliche Praxis verstehbar, Qualitäts- und Leistungsversprechen überprüfbar sowie Forderungen und Absichten verständlich zu machen, ist ein legitimes Bedürfnis der Verbraucher/innen. In einer demokratischen und offenen Gesellschaft ist es ebenso eine berechtigte und notwendige Motivation der Medien, Sorge dafür zu tragen, dass dies auch geschieht. Unabhängige und kritische Medien sind heute immer noch ein bedeutender Grund dafür, dass die Gesellschaft dieses Recht wahrnehmen kann. Nichtsdestotrotz hat die Gesellschaft vor allem auch ein Anrecht auf wahre, glaubwürdige und belastbare Informationen! Dafür tragen jedoch diejenigen die Verantwortung, die für ihre Produkte die “license to operate“ benötigen. Die Branche muss daher erkennen, dass die professionelle Etablierung einer Landwirtschaftlichen Gesellschaftsverantwortung, einer Agriculture Social Responsibility (ASR), längst überfällig ist. ASR steht für verantwortliches Handeln in der gesamten landwirtschaftlichen Branche, über ökologisch relevante Aspekte bis hin zu den Beziehungen mit einzelnen Landwirt/innen und Branchenmitgliedern sowie dem Austausch mit relevanten Anspruchs- bzw. Interessengruppen, den sogenannten Stakeholdern, wozu auch die Gesellschaft gehört.

Egal ob Tierhaltung oder Glyphosat – die Landwirtschaft ist im Fokus negativer Berichterstattung

Die bittere Wahrheit ist, dass keine Österreicherin und kein Österreicher hungern muss, wenn die ernährungssichernde österreichische Landwirtschaft im Kampf um Legitimation und einen positiven Markenwert ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die Regale lassen sich mit Importprodukten schnell wieder füllen und diejenigen, die es sich leisten können, haben weiterhin die Möglichkeit heimische Produkte nachzufragen, die Leistungsversprechen weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus erfüllen. Soweit müssen wir es aber nicht erst kommen lassen.

 

Die Krise erlaubt uns Dinge zu tun, die wir sonst nicht tun könnten!

An dieser Stelle möchte ich über die Gelegenheit sprechen, die uns die Krise bietet. Sie erlaubt uns Dinge zu tun, die wir sonst nicht tun könnten – wie die Etablierung einer Agrarbranchenkommunikation mit dem Ziel, einen positiven Markenwert für österreichische Lebensmittel zu schaffen und damit langfristig den Fortbestand mittelständischer Familienbetriebe zu sichern. Wie soll das genau aussehen? Der folgende YouTube-Clip zeigt einen Beitrag vom Bayrischen Rundfunk zu einer Image-Kampagne bayrischer Landwirtinnen und Landwirte:

Das Ziel, ein positives Image aufzubauen, wurde trotz der Zusammenarbeit mit professionellen Kommunikatoren verfehlt. Woran lag das? Ehe wir Verständnis und Vertrauen – und damit die Legitimation
– für die landwirtschaftliche Praxis von der Öffentlichkeit erwarten können, ist es zunächst wichtig, den Blick nach innen zu richten. Wo trifft Kritik wunde Punkte? Wie kann die Landwirtschaft ihre Verantwortung effektiv kommunizieren und ihr Bewusstsein darüber erweitern? Auf welche Werte besinnt sie sich dabei? Wie viel Transparenz ist nötig? 

Die bittere Wahrheit ist, dass keine Österreicherin und kein Österreicher hungern muss, wenn die ernährungssichernde österreichische Landwirtschaft im Kampf um Legitimation und einen positiven Markenwert ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die Regale lassen sich mit Importprodukten schnell wieder füllen...