Wenn die Herkunftskennzeichnung selbstverständlich ist…
12.05.2021 / Essen & bewusster Konsum
Was in Österreich gerade heiß diskutiert wird, ist in der Schweiz seit 25 Jahren umgesetzt: die Herkunftskennzeichnung auf Speisekarten.
Vergebens habe ich nach dem Kleingedruckten auf der Speisekarte gesucht, als ich das erste Mal in Wien in einem Restaurant saß. Die klein geschriebenen Details am Ende oder unterhalb der Karte haben für mich eine große Bedeutung: Sie verraten, woher die Zutaten der Speisen kommen und wie diese hergestellt wurden. Mit einem Fragezeichen in meinem Gesicht habe ich mein Gegenüber gefragt, wie ich denn nun wissen soll, woher das Schnitzel auf meinem Teller stammt? In der Schweiz gilt die Herkunfts- und Haltungskennzeichnung für Fleisch und Fisch bereits seit 1995 – sprich ich bin damit aufgewachsen. Eine Herkunftskennzeichnungspflicht für Eier gibt es nicht, aber eine Pflicht zur Kennzeichnung der Produktionsmethode, wenn die Tiere unter in der Schweiz nicht zugelassenen Bedingungen gehalten worden sind. In einem solchen Fall kann auf der Karte Folgendes stehen: „kann mit Antibiotika oder hormonellen Leistungsförderern erzeugt worden sein“ oder „aus in der Schweiz nicht zugelassenen Käfighaltung“. Da vergeht einem fast der Appetit, nicht wahr? An diesem Abend inmitten Österreichs Hauptstadt wurde mir schlagartig bewusst, dass diese Kennzeichnungspflicht offenbar alles andere als selbstverständlich ist.
Mehr Mut dank gesetzlichem Backup
Im Laufe der Jahre, in denen ich bereits in Österreich lebe, habe ich mich daran gewohnt, dass ich nicht so genau weiß, woher die Speisen kommen. Bei meinen Besuchen in der Schweiz schaue ich dann aber wieder ganz genau. Detektivisch vergleiche ich die Angaben auf der Speisekarte mit jenen auf der handgeschriebenen, großen Kreidetafel mit den Tagesmenüs. Ah, das Filet ist auf der Karte aus Argentinien, auf der Tafel steht aber Schweiz – ja, was denn nun? Da scheue ich auch nicht davor zurück, genauer nachzufragen. Ich beobachte das bei mir sehr gut: In der Schweiz wage ich mich viel mehr, nach der genauen Herkunft oder Produktion der Lebensmittel zu fragen. In Wien bin ich zurückhaltender. Möglicherweise liegt es aber auch an meinem Respekt vor den traditionellen Wiener Kellnern – die möchte ich auf keinen Fall noch grantiger machen. :) Abgesehen davon, ist aber leider noch häufig der Fall, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Restaurants persönlich angegriffen fühlen, wenn man nachfragt, was denn da genau serviert wird. Das ist auch in der Schweiz nicht anders, aber da packe ich dann umgekehrt meine angelernte Wiener Grantigkeit aus. Außerdem agiert es sich mit dem Wissen, dass das Gesetz auf meiner Seite ist, leichter.
Von jahrelanger Erfahrung profitieren
Ich bin davon überzeugt, dass die Kennzeichnung der Herkunft und Haltungsform erstens das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten fördert. Sind diese Angaben einmal erkennbar, hinterfragt man auch viel mehr. Zweitens geht es darum, eine transparente, freie Wahl zu haben, die meiner Meinung nach selbstverständlich sein sollte. Auch in der Schweiz gibt es noch Luft nach oben, beispielsweise bei der Deklaration von verarbeiteten Lebensmitteln oder Fertigprodukten im Supermarkt oder bei der Herkunftskennzeichnung von Eiern in der Gastronomie. Nichtsdestotrotz zeigt das Land, dass eine Kennzeichnung möglich ist. Österreich könnte in diesem Bereich auf die andere Seite des Rheins schauen, von 25 Jahren Erfahrungs- und Wissensschatz profitieren, daraus ihre eigene Version der Herkunftskennzeichnung erarbeiten und umsetzen. Worauf warten wir noch?
Während unserem Besuch in der Schweiz haben wir mit Vertreterinnen und Vertretern über die Herkunftskennzeichnung gesprochen. Mehr Infos zur Deklarationspflicht findet ihr im Blogbeitrag von Peter und die wichtigsten Aussagen sind im Video zusammengefasst:
Mehr über die Lebensmittelkennzeichnung in Österreich erfährst du in unserem Hintergrundbericht.
Oder interessiert dich die Landwirtschaft im Ausland? Wie wirtschaften Bäuerinnen und Bauern in unseren Nachbarstaaten? Wir waren beispielsweise in Rumänien unterwegs oder berichten über die Agrarpolitik in Frankreich.