Warum essen wir Erdbeeren im Winter?

31.12.2020 / Essen & bewusster Konsum

Gute Frage, nicht wahr? Wer darüber ins Nachdenken kommt, ist herzlich eingeladen, weiter zu denken. Auch wenn das fürs Erdbeer-Winter-Business unvorhersehbare Folgen haben könnte. Die „Erdbeere im Winter" steht übrigens für eine ganze Reihe ähnlich gearteter unhinterfragter, liebgewonnener „Segnungen", die uns unser Schlaraffenland beschert. 

Antwort 1:

Very simple: Weil sie angeboten werden im Winter. Weil es sie zu kaufen gibt. Zwar ziemlich teuer, eher geschmacklos und sicher nicht aus heimischen Anbau, aber: Wer wird denn da so pingelig sein und als Spaßbremse peinliche Herkunftsfragen stellen? Was es zu kaufen gibt, wird auch gekauft. Der Handel will ja schließlich auch sein Geschäft machen.

Fragt man die Händler, warum es Erdbeeren im Winter zu kaufen gibt, sagen sie: Weil es die Kunden so wünschen. Fragt man uns Kunden, warum wir Erdbeeren im Winter kaufen sagen wir: Weil der Handel sie anbietet. Was war zuerst, das Huhn oder das Ei? Jedenfalls zeigen die Antworten, dass im Grunde vermutlich doch ein bisschen schlechtes Gewissen im Spiel ist. Alle Beteiligten, sprich Handel und Kunden, wissen irgendwo ganz „weit unten" versteckt, dass das nicht ok ist: Erdbeeren bei uns im Winter. Die Verantwortung dafür schieben wir uns gegenseitig in die Schuhe und sind dabei fein raus.

 

Was angeboten wird wird auch gekauft - so einfach?

 

An wem ist es nun diese Ver-Antwort-ungslosigkeit zu beenden? Die Antwort kann nur lauten: Es ist an mir selbst! Ich kann einfach keine Erdbeeren kaufen im Winter, keine Tomaten usw., stattdessen saisonales, heimisches Obst und Gemüse, wie Äpfel, Birnen, Karotten etc. Man soll nicht ausschließen, dass der Handel von sich aus oder durch sanften Druck von außerhalb das „Erdbeeren-und-Co-im-Winter-Geschäft" schließt. Allerdings käme das schon einem kleinen Weihnachtswunder gleich ...

 

Antwort 2:

Weil keiner die Folgen und Zusammenhänge bedenkt. Wie beim berühmten Schmetterlingseffekt, demzufolge ein Flügelschlag des kleinen Insekts in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann, sind die Auswirkungen davon, dass wir Erdbeeren im Winter essen von beinah unabsehbarer Tragweite (immer die Wintererdbeere beispielhaft verstanden!). Die angesprochene Tragweite auch nur annähernd vollständig zu überblicken, ist hier nicht der Ort. Beschränken wir uns auf Andeutungen. Dafür nehmen wir kurz einmal zwei andere Lebensmittel ins Visier, die noch weit selbstverständlicher im Winter angeboten und konsumiert werden als die Erdbeere, die aber wie letztere in der kalten Jahreszeit bei uns ebenfalls nicht Saison haben: die Tomate und die Gurke.

Dass Tomaten und Gurken bei uns selbstverständlich nicht im Winter Saison haben, ist, so steht zu befürchten, den meisten gar nicht bewusst. Diese beiden Gemüse eignen sich auch nicht, wie etwa der Apfel oder die Karotte zum Lagern, sodass sie nur als Frischware in den Handel kommen. Frische Tomaten und Gurken wachsen im Winter etwa im europäischen Gemüsemekka Malaga, in Spaniens heißem und trockenem Süden. Von dort werden denn auch in den kalten Monaten tonnenweise Tomaten und Gurken in die heimischen Supermärkte geliefert.

 

Das berüchtigte "mar de plastico" in der Spanischen Provinz Malaga

 

Jetzt bestehen Tomaten und Gurken zu 95 bzw. 97 Prozent aus Wasser. Was passiert also hier im großen Stil, wenn wir uns einbilden Tomaten und Gurken im Winter seien unverzichtbar? Unmengen von Wasser, das in Spaniens Süden absolute Mangelware ist und von weit her über Kanäle dort hingeleitet werden muss, wird anschließend über Tausende Kilometer zu uns gekarrt, die wir Wasser genug haben. Ein ökologischer Unsinn, wenn man sich das vor Augen hält.

Wie reagiert nun die heimische Gemüsebranche auf die spanische Herausforderung? Sie produziert jetzt auch im Winter, sogar teilweise Bio, wie im steirischen Bad Blumau. In diesem speziellen Fall mit ökologischer Energie aus Erdwärme. Sie tut das, weil wir dieses Gemüse nachfragen und weil der Österreicher auf regionale Ware steht, was an sich gut ist. Sie tut das, weil es ihr einen kleinen Anteil am Winter-Gemüse Geschäft sichert. Ökonomisch nachvollziehbar. Aber tut sie das auch, weil es ökologisch Sinn macht? Dazu muss man sich nur die Frage stellen, was hier an Energie in die Produktion gesteckt wird und was man mit dieser Energie ansonsten machen könnte. Erdwärme hin oder her: Sie im Winter bei uns in die Produktion von Gemüse zu stecken, ist bei Gott nicht besonders ökologisch, wenn es auch ein Geschäft sein mag. Aber, wie gesagt: Wo eine Nachfrage, da auch ein Geschäft ...

 

Ökologisch? Glashausproduktion in unseren Breiten im Winter

Antwort 3:

Weil die attraktiven Alternativen fehlen, oder diese nicht minder bedenklich sind, etwa per Flugzeug eingeflogene Exotika wie Mangos, Papayas und Ananas. Warum sind unsere regional und saisonal zu habenden Obstsorten in puncto Attraktivität dem sündig-lockenden, bunten Exotik-Obst-Mix heillos unterlegen? Dieser Punkt hat etwas. Ist nicht leicht zu widerlegen, bzw. gar nicht und rührt an ein anderes Feld. Das Feld Marketing und Werbung.

Was macht ein Lebensmittel attraktiv? Wie wird es über sein Der-menschlichen-Ernährung-Dienen hinaus mit Wertigkeit aufgeladen? Warum ist ein Apfel in Fernost ein für unsere Maßstäbe sündteuer gehandeltes Produkt, das dort etwa auch ganz anders im Regal platziert und inszeniert wird? Wie kann ich heimisch und saisonal marketingtechnisch pimpen, den ökologischen Mehrwert mitverkaufen, als Kaufargument besser platzieren? Das sind wichtige Fragen an alle Beteiligten aus Produktion und Handel. 

 

Was macht ein Lebensmittel attraktiv? Offenbar nicht nur Nähr- und gesundheitlicher Wert

 

Nur als kleine Anmerkung hierzu. Schwierige Produktionsjahre zeigen beim Apfel immer wieder: Wenn Österreichs Bauern im beinharten internationalen Wettkampf überleben wollen, egal, was sie produzieren, dann müssen sie sich langfristig über ein nachvollziehbares Plus an Qualität die lästige Konkurrenz vom Leib halten. Das Label „Made in Austria" allein wird als Verkaufsargument nicht ausreichen, obwohl unsere Produktion im Großen und Ganzen und zumeist zu Recht (!) einen auch international guten Ruf hat. Dieser gute Ruf geht aber verloren, wenn er alles ist, worauf man seine Zukunft baut. Immer dieselben Apfelsorten, immer dieselben Anbau- und Selektionsmethoden, die viel zu oft auf Massenertrag statt auf glasklare Qualität setzen - wie es uns von Insidern aus der Apfelbranche selbstkritisch übermittelt wurde - heißt die ganze österreichisch Apfelproduktion zu gefährden.

Der heimische Konsument war und ist in Österreich tendenziell „patriotisch" und greift für heimische Qualität etwas tiefer in die Tasche. Langfristig muss dieses qualitative Plus aber auch kritischer Überprüfung standhalten. Dann kann vielleicht auch der Handel, der die Marketing-Schlüssel in der Hand hat, dieses qualitative Plus besser einpreisen, besser in seine Gesamtkalkulation einbauen. Dann ist der Regalmeter mit heimischen Äpfeln vielleicht wieder konkurrenzfähig mit Kiwis aus Neuseeland, mit Ananas aus Guatemala.

 

Antwort 4:

Weil Erdbeeren zum Sekt einfach unverzichtbar sind. Und weil nun mal ein Fest nach dem anderen in die kalte Jahreszeit fällt. Was dem betuchten Tennisfan im Mekka seines Lieblingssportes am heiligen Rasen zu Wimbledon für sündteures englisches Geld ein Must-have ist, nämlich die stilechten Erdbeeren zum Schampus, das wird sich doch der kleine Mann bei uns auch mal leisten dürfen. Wem schadet das bisschen unvernünftiger Luxus schon? Man gönnt sich ja sonst nichts. Und schließlich ist Weihnachten.

 

Unverzichtbarer "Luxus" - auch zu den winterlichen Festivitäten?

 

Ich denke diese Demokratisierung des Anspruches auf „Luxus" macht so absurde Produkte wie Winter-Erdbeeren (leider) zusätzlich attraktiv. Auch hier kann sich wieder jeder nur selbst bei der Nase nehmen. Brauche ich diesen Luxus? Brauche ich dieses Gefühl mich dadurch gedanklich an Erdbeeren schlemmernde Wimbeldon-Celebrities anzunähern? Oder leiste ich mir den Luxus, auf diesen Luxus zu verzichten, weil er ohnehin längst keiner mehr ist und weil ich dadurch ein kleines Stück Vernunft in die Welt bringe, was vermutlich der weit größere Luxus ist?

 

Antwort 5:

Weil Obst im Winter besonders gesund ist. Da musst du selber lachen - nicht wahr?

Das könnte dich auch interessieren

Wenn die Herkunftskennzeichnung selbstverständlich ist…
Mehr erfahren
Fleisch killt Klima! Echt?
Mehr erfahren
© pixabay
Corona macht's möglich: Frauen zurück an den Herd!
Mehr erfahren
Fasten neu gedacht: Weil regional nicht egal ist
Mehr erfahren